ALEXANDRA SCHNEIDER

NICHT FÜR DIE LIEBE GEBOREN? (ANGELA MESCHINI)

SELECTION CINEMA

Nicht für die Liebe geboren? ist das Porträt der Appenzellerin Sibylle Neff, die sich als Senntumsmalerin im Lauf der Zeit von dieser traditionellen Kunst emanzipiert hat und heute als eine der bedeutendsten naiven Malerinnen gilt. Angela Meschini hat sich mit ihrem Film auf deren bemerkenswerte Persönlichkeit eingelassen, ohne schönfärberisch zu wirken oder sie zu einem Symbol werden zu lassen. Die Filmerin stellt Neff in den Kontext des Appenzellerlandes, seiner Bevölkerung und Öffentlichkeit. „Das Schwierigste beim Zeichnen ist, daß einem keine Kühe durchs Bild laufen“, sagt Neff, und doch zeigen ihre Landschaftsbilder „Einschnitte in die Welt“: der Straßenbau als Zeichen der Veränderung im ländlichen Appenzell, in einer auf den ersten Blick intakten Landschaft.

Angela Meschini läßt die Künstlerin im Film ihre Werke selbst beschreiben. In diesen Sequenzen werden ihr analytischer und kritischer Blick, aber auch ihr Witz und ihre Melancholie spürbar. Sie porträtiere mit Vorliebe die kleinen und ledigen Bauern, die „Nicht-Subventionierten“. Von einem Bild eines traurigen, gealterten Junggesellen in der Küche seines „Heimetli“ sagen die Leute, daß sie sich in diesem Bauern selbst porträtiert habe. Sibylle schmunzelt.

„Das Leben leben ist Kunst, nicht das Malen“, meint Neff, und wenn wir im Lauf des Films ihre Geschichte kennenlernen, können wir ihr da nur zustimmen. Die Behördenwillkür, die ihr als unehelich geborenes Kind widerfahren ist, eine falsch diagnostizierte Epilepsie, die sie ihr halbes Leben lang zwang, starke Medikamente zu nehmen, und die Tatsache, daß die Appenzeller sie für sonderlich halten, nicht zuletzt deshalb, weil sie nie geheiratet hat, all dies macht sie zur Außenseiterin. Ob sie wohl nicht für die Liebe geboren sei, fragt Neff.

Die dokumentarische Methode des Films ist eine Mischform von Beobachtung, Interview, assoziativer Montage und Inszenierung. Dabei scheint zuweilen ein gewisser Schulcharakter - das Ausprobieren von verschiedenen Ansätzen und Stilen - durch. Doch gibt dies der Arbeit auch eine erfreuliche Spontaneität und Frische, die der porträtierten Künstlerin in jeder Hinsicht gerecht wird.

Alexandra Schneider
geb. 1968, studiert Soziologie und Filmwissenschaft an der Universität Zürich und ist Mitherausgeberin eines Lexikons über Film- und Videoschaffen von Schweizer Frauen, das 1994 erscheinen wird.
(Stand: 2019)
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