DORIS SENN

BRITT/WIL (ROLAND UNTERWEGER)

SELECTION CINEMA

„Britt/wil“ steht für ein Aargauer Dorf um die Mitte des 19. Jahrhunderts, dessen Einwohner - denjenigen vieler anderer Schweizer Gemeinden seiner Zeit vergleichbar - ein kärgliches Leben führen, ausgefüllt von harter Arbeit auf dem Feld oder beim Holzschlagen im Wald.

Weit entfernt von jeder Idyllisierung und trotzdem sehr stimmungsvoll zeichnet Roland Unterweger über einige wenige Schlüsselszenen den Alltag einer Familie, die ihr Land in Pacht bestellt und deren bescheidene Ökonomie, durch die „Erdapfel-Pestilenz“ aus dem labilen Gleichgewicht gebracht, sich immer mehr im Netz der Zahlungsverpflichtungen verstrickt. Krankheit und Hunger stellen sich ein, der Pächter wird ungeduldig und der Gang zur Sparsuppenanstalt lebensnotwendig.

Der Wirt, der sich als Anwerber für das Auswanderungsbüro etwas dazuverdient, und der Arzt drängen stellvertretend für die Gemeinde zum einzigen Ausweg aus der sich zuspitzenden Misere: die Emigration nach Übersee. Die Gemeinde, froh, sich der Armengenössigen zu entledigen, rodet gar ihren Wald, um die Überfahrt der Auswanderungswilligen zu finanzieren. Jeder gefällte Baum ein hungriges Maul weniger, jeder fallende Stamm aber auch ein Entwurzelter, heimatlos Gewordener, ein Flüchtling.

Eine kleine stimmige Lektion zur neueren Schweizer Geschichte als Beitrag zur Diskussion um „echte“ und „unechte“ Flüchtlinge. Die Parallele - im Film nur über den Titel angedeutet - dürfte leicht zu ziehen sein.

Doris Senn
Freie Filmjournalistin SVFJ, lebt in Zürich.
(Stand: 2021)
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