HEINI ALPER

AUS DEM LEBEN OMER KHANS (EDUARD WINIGER)

SELECTION CINEMA

Omer Khan ist 13 Jahre alt. Mit seinen Eltern ist er nach dem Kriegsausbruch in Afghanistan über die Grenze nach Pakistan geflohen und hat dort acht Jahre in einem Flüchtlingslager gelebt. Dann bricht er mit seinem Vater eines Tages auf, um Verwandte in Afghanistan zu besuchen. Sie sind schon in der Nähe ihres Heimatdorfes, als Omer von einer Mine schwer verletzt wird. Es gelingt dem Vater den Jungen wieder über die Grenze und nach Peshawar in ein Spital des IKRK zu bringen.

Hier beginnt der Film von Winiger, der m Pakistan eigentlich eine Auftragsarbeit über Kriegschirurgie drehte. Sozusagen in der Freizeit begleitet er Omer während dessen Behandlung, Genesung und Rehabilitation. Sie erleben und durchleben zusammen Omers Spitalalltag: die allmähliche Besserung nach der Amputation eines Beines, den engagierten Einsatz der Ärzte und Helfer, Omers Nachdenklichkeit, aber bald auch seine wiedergefundene Fröhlichkeit, seine Fortschritte im Umgang mit der Beinprothese und seine Freude etwa über ein Paar eigens für ihn gemachte Schuhe. Daneben werden sie fast täglich Zeugen der Ankunft weiterer verletzter Kriegsopfer, sehen deren Leiden und auch Sterben, etwa den Schmerz eines anderen Jungen, dessen Hände von einer als Spielzeug getarnten Mine zerrissen worden sind. Der Film endet mit Omers Entlassung und dem Abschied, als er mit seinem Vater aufbricht, um ins Lager zurückzukehren.

Die stärkste Wirkung erwächst Winigers Film, indem es dem Autor gelingt, sein eigenes Mitleiden sozusagen rezeptionsfähig zu machen; nicht das Mitleid des Bedauerns, sondern jenes Mitleiden, das letztlich in Mut umschlägt gegen Kriegstreiber jeder Schattierung und Provenienz. Hingegen zeigt gerade dieser Film „Helden“ in einem ganz anderen Sinn, indem er uns Menschen nahe bringt, deren natürlicher Stolz und ungebrochene Würde sie das Leiden in einer Weise, wie Omer Khan dies tut, überhaupt erst ertragen lässt.

Winigers Film ist ebenso eindrücklich und anrührend wie er sich einfachster Mittel bedient. Schon die äusseren Bedingungen waren danach - Winiger arbeitete lediglich mit einem Tonmann und ständig parallel zu seinem eigentlichen Auftrag. Da war - bei aller Professionalität - kein Platz für künstlerische Ambitionen der ästhetischen Art; dennoch ist ein Film von überwältigender Echtheit und Direktheit entstanden. Offenbar sind für ein Vorhaben dieser Art die einfachsten Mittel die besten.

Heini Alper
geb. 1946, Mitglied der S-8 Gruppe Zürich und Mitarbeiter verschiedener Filmprojekte, arbeitet in der Dokumentation „Wort“ des Schweizer Fernsehens DRS.
(Stand: 2019)
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