CAROLA FISCHER

ROBBY KALLE PAUL (DANI LEVY)

SELECTION CINEMA

Robby kehrt von einer Ferienreise aus Japan zurück. Seine Freundin Henny und sein Wohnpartner Kalle holen ihn am Flughafen ab. Bald sitzen sie zusammen am Küchentisch und die Wiedersehensfreude weicht einem immer stärker werdenden Verdacht: „Habt ihr zusammen geschlafen?“ „Ja“. „Wie oft?“ „Weiss ich doch nicht!“

Das wär’s also: Jäh wird Robbys im fernen Osten gewonnene Ruhe und Gelassenheit von seiner Berliner Alltagsrealität hart auf die Probe gestellt. Schon ist er wieder mitten drin im Schlamassel. Da ist die untreue Freundin, die sich nicht so recht entscheiden kann zwischen alter und neuer Liebe, da ist der „falsche“ Freund, dessen grossmauliger blonder Lulatschhaftigkeit offensichtlich keine Frau widerstehen kann. Robby beschliesst für’s erste, sich den Niederungen dieser Liebeskabale zu entziehen und sich in seinem fernöstlich spartanischen Zimmer den Rätseln der asiatischen Mystik hinzugeben.

Aber so einfach ist das natürlich nicht. Da hat Kalle während seiner Abwesenheit ein Zimmer der Wohnung weitervermietet und schon steht der neue Mieter in der Wohnung und misst seine neuen vier Wände aus. Paul Stöber heisst er und sieht genauso aus wie seine miefigen Möbel, mit denen er alsbald in diesem WG-Zimmer seine perfekte kleinbürgerliche Idylle errichtet, m der auch Wohnwand und Aquarium nicht fehlen.

Damit ist die Grundkonstellation gegeben, in der sich die Komödie abwickelt. Drei sehr verschiedene Männer: der ernsthafte, jüdische Robby, der ständig an seiner Männlichkeit zweifelt, der flapsige Kalle in seinen ewigen Latzhosen, der in seinem Zimmer, das halb Töffwerkstatt, halb Räuberhöhle ist, mehr als einmal merkwürdige Besucher erhält, mit denen er in dubiose Deals verwickelt ist. Und last not least, Paul, der, gekleidet in drittklassigem Vertreter outfit, seine Tage in einem Büro verbringt und abends bei einem Bier vor dem Fernsehapparat seinen Don-Juan-Phantasien nachhängt. Auch er wird Opfer des wahren Don Juans dieser Wohnung: Die angebetete blonde Bürokollegin landet letztlich nicht in seinem, sondern in Kalles Bett. Aber die drei wären nicht Männer, wenn es ihnen nicht über alle Zwistigkeiten hinweg gelänge, zu wahrer Freundschaft, sprich: Kumpanei, zu finden. Es braucht nur ein paar Quatsch-, Sauf- und Essgelage, um sich gegenseitig zu bestätigen, dass es letztlich die Frauen in ihrer Wankelmütigkeit und ihrem Hang zum Besitzergreifen sind, die den Männern ein Leben in Freiheit und Frieden verunmöglichen. Gemeinsam beschliessen sie, eine Zeit der sexuellen Askese einzuschalten und keine Frauen mehr in die Wohnung zu lassen. Es erübrigt sich fast, zu erzählen, dass dieser Beschluss an der Realität zerschellt. Zu schwach ist das Fleisch, zu zahlreich, zu entschlossen und unbeirrbar die Frauen, die in dieser Wohnung auftauchen. Sogar Robby wird in seiner mönchischen Behausung von einem geradezu übersinnlichen Wesen heimgesucht, das seine erstarrten Sinne zu neuem Leben erweckt.

Der Film erreicht seinen Kulminationspunkt in einer turbulenten Sylvesterfeier, auf der die durchaus noch jugendliche Mutter Kalles in Pauls Armen liegt, während ihr Sohn einen Motorradsprung aus dem ersten Stück überlebt.

Berlin scheint ein fruchtbares und belebendes Pflaster für Schweizer Filmer zu sein. Dort gelingen ihnen die Filme, die man hierzulande oft schmerzlich vermisst. Dani Levys Filme entstehen wie die des andern Exilschweizers, Marcel Gisler, in einer „Familie“. Das ist ein Rezept, das sich bewährt. Die Filme haben eine Lockerheit und Spontaneität, die zweifellos auch eine Folge der Vertrautheit der Akteure untereinander ist. Der gekonnte Umgang mit der Sprache, die Treffsicherheit der Dialoge und der Sinn für Dramaturgie entspringen sicher der langen Theatererfahrung Dani Levys und seiner Freunde. Aber es ist sein — durchaus jüdischer - Sinn für Humor, der den Film so liebenswürdig macht.

Milieukomödien wie diese leben davon, dass sie Klischees reproduzieren und überzeichnen. Dass das in diesem Film nie peinlich wird, ist nicht zuletzt den ausgezeichneten Schauspielern zu verdanken, mögen diese in der Badewanne oder auf dem Klo sitzen. Es ist paradoxerweise dieses Milieu, diese manchmal fast brave Alternativszene, die irgendwie zugleich Stärke — eben weil der Autor das alles sehr gut kennt - aber auch Beschränkung dieses Films ausmacht. Er setzt beim Zuschauer die Kenntnis genau dieser Szene voraus. Das Lachen ist ein Einverständnis des Zuschauers mit der Beschreibung von Verhaltensweisen und Strukturen, die man selbst gut kennt. Für einen Film, der diesen Rahmen sprengt, der also auch ein internationales Publikum finden könnte, sind die Figuren zu wenig universell. Aber Dani Levy ist auf einem guten Weg. Er besitzt ein Gefühl für Rhythmus und ein Talent zum Erzählen. Er hat einen Film gemacht, der einem das Gefühl gibt, dass hier einer am Werk ist, der seine Möglichkeiten kennt und richtig einschätzt. Und der hoffentlich weitermachen wird.

Carola Fischer
geb. 1949, cinephile Germanistin, arbeitet in der Dokumentation „Wort“ des Schweizer Fernsehens DRS.
(Stand: 2019)
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