VALÉRIE PÉRILLARD

RUHEZEIT ABGELAUFEN (MARIE LOUISE BLESS)

SELECTION CINEMA

In ihrem ersten Spielfilm geht es Marie-Louise Bless um den monotonen Büroalltag, der die Träume so prägt, dass sie nicht über die biedere Realität hinausweisen. Brisant ist der Stoff schon, in einem Land, in dem ein Grossteil der Bevölkerung im tertiären Sektor beschäftigt ist.

Der dreissigjährige pedantische André arbeitet in einem Presseausschnittdienst, wo die Stimmung zwischen den Arbeitskollegen von einer eingespielten, latenten Aggressivität ist. Zuhause leistet ihm nur sein geliebter Kater Hermann Gesellschaft. Ein frustrierter, einsamer Bürogummi will er nicht sein; so wird Andre im Kopf zu einem Schriftsteller, der an einem grossen Kriminalroman schreibt. Hauptfigur ist Edi, und natürlich identifiziert sich André mit ihm. Einem gebannt zuhörenden Totengräber erzählt er Tag für Tag auf dem Friedhof die Fortsetzung seiner blutrünstigen Story. Seine nervtötenden Bürokollegen kommen darin um, die Gräber für die Krimileichen stehen bereit. Und selbstverständlich taucht eine geheimnisvolle Frau auf, die André flüchtig auf dem Friedhof erblickt hat.

André verwickelt sich zunehmend in seine Geschichte, phantasiert, einem Zufallsbekannten einen Mord suggeriert zu haben. Unordentlich gekleidet, flieht André aus semer Wohnung, taucht unter in der Anonymität grossstädtischer Beizen und Pensionen. Zur Arbeit erscheint er am nächsten Morgen geschniegelt wie immer.

Nichts hat sich verändert: Der Film endet damit, wie André während der Mittagspause einem willigen Zuhörer eine seiner phantasierten Geschichten erzählt.

Von der Anlage her eine Story à la Patricia Highsmith entwerfend, gelingt es der Autorin vor allem gegen den Schluss nicht immer, die Verstrickung von Realität und Phantasie dramaturgisch schlüssig zu inszenieren. Wo sich die Aufhebung der Grenzen zwischen Traum und Wirklichkeit verdichten müsste, zerfällt die Handlung in einzelne Bestandteile und lenkt dabei die Aufmerksamkeit der Zuschauerinnen zu sehr auf witzige Nebenhandlungen (ein Hund, der auf der Strasse Andrés Tasche angreift - wie sich herausstellt, trägt er Kater Hermann darin herum -, eine Frau, die unaufhörlich an einem roten Pullover für Hua Guofeng strickt, und weitere Faktoten). Zu wenig sind solche Szenen in den komplexen Lauf der Handlung integriert, auch wenn sich am Schluss all die seltsamen Gestalten auf dem Polizeipräsidium treffen, wo André seinen entlaufenen Kater abholt.

Spannend wird der Film, der als Arbeit an der Hochschule für Film und Fernsehen in München entstanden ist, dort, wo er zeigt, wie der tägliche Umgang mit trivialen Zeitungsschlagzeilen ebenso triviale Phantasien produziert, wo er dem Wahnsinn im Alltag nachgeht.

Valérie Périllard
ist Volkskundlerin und Regieassistentin in Zürich.
(Stand: 2019)
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