CYRIL THURSTON

HABIBI — EIN LIEBESBRIEF (ANKA SCHMID)

SELECTION CINEMA

Der Film von Anka Schmid, ist, wie der Titel schon sagt, ein Liebesbrief, ein Film über die Liebe einer Frau zu einem Mann in einer fremden Stadt. Assoziativ, collageartig reflektiert er Gefühle, Rollenverhalten, Idealbilder, Wunschvorstellungen, die mit dieser Liebe, oder der Liebe allgemein, verbunden sind. Die Frau, hm- und hergerissen zwischen Erinnerungen, Projektionen auf ihren Geliebten und ihrer jetzigen Lebenslage, einer Situation des äusserlichen Getrenntseins, befindet sich im Moment vorab in einer Telefon- und Schreibbeziehung. Ihr Alltag spielt sich ausserhalb ihrer Liebesbeziehung ab. Eindrücke, Erfahrungen, Gefühle, auch zu anderen Menschen, fliessen nicht mehr direkt in die für sie zentrale Beziehung ein. Liebt sie ihn noch, oder nur das Bild, das sie von ihm konserviert hat? Ist eine Liebe auf Distanz auf die Dauer lebbar?

Anka Schmid hat ihr Liebesgedicht formal gut durchgestaltet. Die lebhaft wirkenden, auf Super-8 gedrehten Erinnerungsbilder einer gemeinsamen Zeit, sind mit schwarzweiss aufgenommenen Bildern ihrer momentanen Realität des Getrenntlebens verwoben. Als weiteres stilistisches Mittel bringt sie Skizzen und Fotos ein, die ihre Auseinandersetzung mit der von ihr gelebten Beziehungssituation aufzeigen. Der Film entspricht formal in seiner ineinander verschachtelten Struktur der inhaltlichen Zerrissenheit, die eine solche Lebenssituation mit sich bringt. In vielen Momenten wirken die von der Frau wahrgenommenen Alltagseindrücke als Spiegel ihrer nicht lebbaren Beziehung. Nachbarn, die sie beobachtet, wie sie mal verliebt sind, mal sich streiten, erwecken in ihr zwiespältige Gefühle. Einerseits verspürt sie Sehnsucht, andererseits ist sie froh, nicht selbst mit einer alltäglichen Liebesbeziehung und dem damit verbundenen Leiden konfrontiert zu sein. Vieles nimmt sie ausschließlich durch die Optik ihrer spezifischen Situation wahr. So erscheinen ihr die in einer Schlange vor einer Telefonkabine wartenden Leute plötzlich alle als reale Liebespärchen, ihr, der es versagt ist, ihre Liebe im Alltag leben zu können. Diese absurd wirkende Szene, wie auch gestellte Bilder einer klischeehaften Vorstellung von Liebe, entziehen den Film der larmoyanten, selbstbeklagenden Grundstimmung. Wenn die Frau das Kino, wo sie sich einen romantischen Hollywoodschinken ansieht, mitten in der Vorstellung lachend verlässt, ironisiert sie ihre eigene Situation.

Die nachfolgende Szene an der Bushaltestelle, in der sie mit einem schönen Jüngling flirtet, zeigt denn auch, dass sie sich in ihrer selbstgewählten Lebensform wohl zu fühlen vermag, ohne die Trennung dauernd zu beklagen. Besonders die Kitschbilder, in denen man ihren Geliebten in typisch männlichen Posen, als grossen, heldenhaften Liebhaber sieht, schaffen eine wohltuende Distanz und fügen dem ernsthaften Hinterfragen der Mechanismen der Liebe eine spielerische Dimension bei. Der Film verwendet Tricks: Farbinserts in Schwarzweiss-Bildern, verdoppelte Personen, die mit sich selbst in Kommunikation treten, eingefrorene Bilder. So sieht man die Frau in der Schlussequenz bei einem Glas Sekt mit sich selbst anstossen. Vielleicht feiert sie ihre Fähigkeit, das Alleinsein geniessen zu können. Diese experimentellen Szenen zeigen, dass Anka Schmid daran gelegen ist, die Möglichkeiten des Mediums zu erforschen und dies nicht auf nüchterne, strukturalistische Art, sondern indem sie ihre Filmtricks in einen inhaltlichen Kontext stellt.

Mit Habibi — Ein Liebesbrief ist Anka Schmid ein facettenhaft schillernder Kurzfilm gelungen, der in seiner gleichzeitigen Ernsthaftigkeit und Verspieltheit überzeugt.

Cyril Thurston
geb. 1957, seit 1982 für die Programmierung des Kinos Xenix in Zürich mitverantwortlich, Mitarbeiter des Filmfestivals Locarno 1987/88, hat verschiedene Kurzfilme realisiert und ist seit 1991 mit einer Senegalesin verheiratet.
(Stand: 2019)
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