In L.A. nobody touches you. Crash (Paul Haggis, USA 2004) New York is where everyone comes to be forgiven. Shortbus (John Cameron Mitchell, USA 2006) Seit jeher interessiert sich der Film für die Stadt, und nicht selten wird als Grund angeführt, das Kino und die moderne Metropole seien zur selben historischen Stunde geboren, Film sei an sich ein städtisches Medium. Ausserdem gilt gerade die Grossstadt als besonders fotogen: Das Aufeinandertreffen von Architektur, Menschenmassen und Verkehrsströmen, von Licht- und Wettereffekten scheint eine natürliche Affinität zur filmischen Ästhetik zu haben und kann doch in zahllosen Nuancen orchestriert werden. Viele Stadtfilme zelebrieren die Metropole als Inbegriff des Grossen und Neuen, skeptische Varianten denken über die Schattenseiten nach (öde Fabrikgelände und zwielichtige Bars, schäbige Hotelzimmer und regennasse Strassen). Realistische Quartierstudien loten das Leben der kleinen Leute aus, ätzende Satiren spotten über architektonische Entgleisungen und postmoderne Globalisierung. Wieder andere setzen touristische Highlights pittoresk in Szene oder rücken die apokalyptische Dimension in den Vordergrund: Bedrohung, Verunsicherung, Unmenschlichkeit. Unzählige Filme tragen die Stadt bereits im Titel – von Gli ultimi giorni di Pompei (Mario Caserini, I 1913) bis zu Paris, je t’aime (Olivier Assayas u. a., F 2006) –, auch wenn sie sie oft nur als attraktiven Hintergrund nutzen. Prachtboulevards und Vorstadtsiedlung, Asphaltdschungel und Parkanlagen, Kanalisationssysteme und Villenviertel, Mietskasernen und Luxuslofts können aber auch zu bedeutungstragenden Schauplätzen werden, ohne die ganze Genres und Stilrichtungen undenkbar wären: der Film Noir und das Hongkong-Kino, der Wiener Film, aber auch Trümmer-, Gangster- und Polizeifilm. Gleichgültig, ob Filmstädte zu Stadtfantasien überhöht werden, Klischees sich aneinanderreihen oder Unbekanntes ans Licht geholt wird: Im Kino wird die Stadt zum sinnlichen Erfahrungs- und Erzählraum, in dem vieles möglich scheint, alles scheitern kann. Traumhafte Karrieren ereignen sich neben albtraumhaften Verstrickungen, Gewaltexzesse neben stummen Tragödien. Soziale Unruhen schwelen, Grossstadtneurosen gedeihen, Avantgarde und Subkultur bringen künstlerische Sternstunden hervor. Hier ist das Sündenbabel, wo Huren und Stricher, Mafia und korrupte Cops sich tummeln. Hier sind Anonymität und Vereinsamung zwei Seiten einer Medaille. Hier gehen Politik und Wirtschaft unheilige Allianzen ein, fallen Quartiere spektakulär in Schutt und Asche. CINEMA 54 steht ganz im Zeichen der Stadt im Film, einem der privilegiertesten Objekte von Filmkamera und Kinoerzählung. Im Blickfeld stehen nicht nur Megacities, sondern auch urbane Randzonen wie die Favela in Rio de Janeiro, der Untergrund in Budapest, die Brache in Berlin, der Hinterhof im Zürcher Kreis 5. Es geht um spezifisch städtische Fortbewegungen und Körpertechniken, wie das Flanieren durch San Francisco, der Tanz durch die Strassen der West Side oder der atemberaubende parkour an Häuserfronten empor, über Dachterrassen hinweg. Nachgespürt wird zudem der Stadt als Raum bestimmter Gefühlswelten – romantisch im Fall von Paris, bitter ernüchtert im Fall von Baltimore in der Serie The Wire. Virtuelle Städte werden beleuchtet: das für den Film inszenierte Los Angeles, das es jenseits der Leinwand so nie gab, aber auch eigens für den Film hochgezogene Stadtteile, die weit über die blosse Kulissenstadt aus Pappe hinausgehen, oder Stadtansichten aus dem Computer. In literarischen Miniaturen geben Filmschaffende und Schriftsteller Einblick in persönliche Filmstadterfahrungen, und ein Kurzfilm stellt die Stadtwelt, wie wir sie kennen, auf den Kopf. Die Fotostrecke macht das Faszinierende, aber auch das Bedrängende der Stadt erfahrbar. Das «CH-Fenster» ist dem Schweizer Besetzerfilm, einem urbanen Phänomen par excellence, gewidmet. Die «Nocturne» spürt dem Mythos New York nach, der vielleicht mehr als andernorts immer auch ein Filmmythos ist. Der «Filmbrief» berichtet von der Kinostadt London und den Tendenzen der britischen Filmindustrie, während die «Sélection CINEMA» wie immer einen ausführlichen Überblick über das Schweizer Filmschaffen des vergangenen Jahres bietet. Für die Redaktion Philipp Brunner

CINEMA #54
STADT
EDITORIAL
ESSAY
DER KLINGENHOF, DIE STADT UND DIE WELT: ZÜRICH ALS GLOBAL VILLAGE
MOMENTAUFNAHME
«MICHAEL MANNS COLLATERAL UND FRANZ KAFKAS ‹SCHAKALE UND ARABER›»
CH-FENSTER
FILMBRIEF
SELECTION CINEMA
NOMAD’S LAND – SUR LES TRACES DE NICOLAS BOUVIER (GAËL MÉTROZ)
BIRD’S NEST – HERZOG & DE MEURON IN CHINA (CHRISTOPH SCHAUB, MICHAEL SCHINDHELM)