Es gibt viele Berührungspunkte zwischen Musik und Film. So hielten wir unsere Augen offen und hörten genauer hin: Es war uns ein Bedürfnis, die mannigfachen Verbindungen zwischen Klängen und Bildern zu berücksichtigen. Während die Regisseure von Videoclips nach Bildern zur Musik suchen, gilt im Kino die Musik oft als blosse Unterstützung der Geschichte, die in Wort und Bild auf der Leinwand zu sehen ist. Vielleicht wurde deshalb die Musik von der Filmwissenschaft lange Zeit so stiefmütterlich behandelt. Dabei ist die Filmmusik so alt wie das Kino selbst. Bereits die Filme der Brüder Lumière wurden von einem Pianisten begleitet. Nicht nur, weil sich das frühe Kino an den Aufführungspraktiken des Theaters und des Variétés orientierte, sondern auch, weil die Musik anfangs dazu diente, das störende Geräusch des Projektors zu überdecken. 1981 hat sich ein besonderer Kontext zwischen Musik und Bild einer breiten Masse eröffnet: MTV ging auf Sendung. Für die CINEMA-Redaktion gehört die Clipkultur zu einem wichtigen visuellen Referenzrahmen, allerdings bleibt auch eine zwiespältige Haltung bestehen, die so oft die Beziehung von Cinephilen gegenüber der MTV-Kultur prägt. Einerseits waren Videoclips immer schon ein Tummelfeld der filmischen Avantgarde, andererseits haftet ihnen, so wie dem Werbefilm, etwas Anrüchiges an, da sie in erster Linie der Promotion der Musikindustrie dienen. Im zeitgenössischen Filmschaffen verschwimmen die Grenzen zwischen Musik und Film immer mehr. Die Pop- und Rocksoundtracks, die etwa ein Quentin Tarantino zu seinen Filmen zusammenstellt, haben nichts mehr mit der dienenden Funktion der orchestral eingespielten Filmmusik zu tun, wie sie vom klassischen Hollywood geprägt wurde. Überspitzt gesagt, dreht Tarantino vielleicht auch nur Filme, um die Compilations seiner Lieblingssongs zu veröffentlichen. Die Marketingoffensive im Bereich des Filmsoundtracks ist allgemein unübersehbar. Diese Entwicklung zeichnet Christian Jungen in seinem Text Bryan Adams’ Mustang im Kino bis hin zur Kreation des Crosspromotion-Stars nach. Es ist auffallend, wie viele schauspielernde Sänger und Sängerinnen neuerdings unsere Leinwände bevölkern beziehungsweise wie viele Schauspieler und Schauspielerinnen ihre Gesangstalente entdecken. Die Stars des klassischen Hollywood-Musicals mussten seit jeher sowohl singen, spielen wie auch tanzen können. Reto Baumann benutzt in seinem Aufsatz Using the Thing das (weisse) Musical als Folie, um am Beispiel von Michael Schultz’ Car Wash über die besondere Bedeutung der Musik im so genannten Schwarzen Kino nachzudenken. Er kommt zum Schluss, dass der Gebrauch der Musik der repetitiven Struktur der Erzählung entspricht, in der sich vielleicht das spezifisch «Schwarze» der schwarzen Populärkultur insgesamt spiegelt. Musikalische Strukturen sind eben nicht nur auf der Tonspur zu verorten, sondern auch in der Abfolge der Bilder. Untersucht wird dieses Phänomen etwa im Beitrag Töne stürmen gegen das Bild, worin sich Thomas Tode mit den musikalischen Kompositionen von Ton und Bild im Werk von Dziga Vertov auseinander setzt. Florian Keller interessiert sich in Heavy Rotation ebenfalls für die Wechselwirkung von Bild und Musik, allerdings ist sein Material gut 70 Jahre jünger. Er kontert eine oft gehörte Kritik an der Ästhetik von MTV, die in der Clipkultur bloss eine oberflächliche Beschleunigung und Zerstückelung sieht und zudem behauptet, dass sie das filmische Erzählen kaputt mache, mit einer genauen Analyse von ausgewählten Videos. In den Clips von Björk, Cibo Matto und Radiohead lässt sich seiner Meinung nach ein ganzes narratologisches Lexikon finden. In Con intimissimo sentimento fragt sich Philipp Brunner, wie der künstlerische Prozess des Musikers und der Musikerin in den zahlreichen fiktionalen und dokumentarischen Künstlerporträts dargestellt wird. Er stellt fest, dass die manuelle und technische Seite des Vorgangs selten eingesetzt wird, da diese höchstens ein Fachpublikum interessieren würde, dafür aber das Gesicht der musizierenden Figur in den Vordergrund rückt, in dem sich die kreativen Prozesse regelrecht veräussern. In gewohnter Manier beschränkt sich CINEMA auch in der aktuellen Ausgabe über Musik nicht nur auf den Film und wagt mit Jan Rohlfs Beitrag Generieren, nicht collagieren einen Seitenblick auf die Clubkultur, wo in den letzten Jahren heftig mit dem Zusammenspiel von Musik und Bild experimentiert wurde. Mirjam Staub sucht in ihrem Bildessay Berlin, Café Moskau, Golden Gate ebenfalls nach den Spuren, die ein Club mit seiner Mischung aus Musik und Licht auf den tanzenden Körpern hinterlässt. Sie schreibt dazu: «Das Stroboskop-Licht gibt den Bildern etwas Dramatisches, Aufgeladenes, wie auf einem nächtlichen Filmset kurz vor dem Showdown. Die Abbildung der Bewegung funktioniert dabei als eigentliche Umkehrung der Filmprojektion, bei welcher ganz viele Einzelbilder nacheinander projiziert werden, während sich in meinen Fotografien der Bewegungsablauf durch das Übereinanderlagern der Bilder auffächert.» David Bowie wusste die Mechanismen der Popkultur auf der Ebene von Bild und Musik besonders kreativ zu nutzen. In seinem Text MOONAGE DAYDREAM präsentiert Matthias Michel Bowie als Gesamtkunstwerk und zeichnet seinen Werdegang in einer wilden Retro-Futuro-Geschichte von einem etwas anderen Blickpunkt aus nach. In Thank God, It’s Friday oder Saturday Night Fever auf dem Lande geht Jürg Zbinden in sich, um seinen ganz persönlichen Soundtrack nachklingen zu lassen, der sein jugendliches Lebensgefühl zwischen Kuhstall und Landdisco bestimmte. Und schliesslich haben uns bei unserem Schwerpunktthema Musik auch Klangkonzeptionen des Mainstream-Kinos interessiert. Barbara Flückiger, die mit Sound Design. Die virtuelle Klangwelt des Films ein Standardwerk schuf, erlaubt uns in ihrem Beitrag Where’s the Link? Einblicke in die Produktion der Tonspur. Die kritisch-analytischen, experimentellen und literarischen Beiträge werden ergänzt durch ein Interview von Laura Daniel mit dem Cellisten und Filmmusiker Martin Tillmann, das die praktische Seite der Filmmusikproduktion im heutigen Hollywood unter die Lupe nimmt. Der Filmbrief berichtet in diesem Jahr über die neuesten Entwicklungen in der Kinolandschaft Dänemarks jenseits der «Dogma»-Bewegung. Doch auch die Schweiz kommt nicht zu kurz: Neben dem Überblick über die Schweizer Filmproduktion vom letzten Jahr im Kritischen Index beschäftigen sich im CH-Fenster gleich drei Texte mit dem schweizerischen Filmschaffen. Der Restaurator Reto Kromer berichtet von den Problemen der Restaurierung und Konservierung von Filmen, kann sich aber auch immer wieder über kleine Erfolge freuen. Vinzenz Hediger und Alexandra Schneider sind in ihrem Text Komische Beamte, vernakuläre Stars der Frage nachgegangen, ob es im neueren Schweizer Film auch richtige Stars gibt. Während dies wohl die meisten energisch bestreiten würden, kommen sie zu anderen Ergebnissen. Ihre Thesen werden denn auch dadurch gestützt, dass die RS-Komödie Achtung, fertig, Charlie! bei Drucklegung gerade zum in der Schweiz erfolgreichsten Film des Jahres avanciert war. Letztes Jahr ist der profilierte Filmpublizist Martin Schaub gestorben, der als ehemaliger Redaktor von CINEMA auch die treibende Kraft bei der Rettung und Umwandlung der Quartalszeitschrift in ein Jahrbuch war. Walter Ruggle nahm seine Würdigung zum Anlass, über die Aufgabe der Filmkritik zu reflektieren. Für die Redaktion Laura Daniel und Veronika Grob

CINEMA #49
MUSIK
EDITORIAL
ESSAY
THANK GOD IT’S FRIDAY ODER SATURDAY NIGHT FEVER AUF DEM LANDE
CH-FENSTER
FILMBRIEF
SELECTION CINEMA
MAIS IM BUNDESHUUS (LE GÉNIE HÉLVÉTIQUE) (JEAN-STÉPHANE BRON)
GEORGES GACHOT MARTHA ARGERICH – CONVERSATION NOCTURNE (GEORGE GACHOT)
ELISABETH KÜBLER-ROSS – DEM TOD INS GESICHT SEHEN (STEFAN HAUPT)
HANS IM GLÜCK – DREI VERSUCHE, DAS RAUCHEN LOSZUWERDEN (PETER LIECHTI)