Ein exemplarischer langer Marsch Zum zweiten Mal innerhalb von 16 Jahren wendet sich CINEMA dem Werk Francesco Rosis zu. Die Entwicklung dieses Regisseurs, der relativ spät seinen ersten eigenen Film realisierte, und der in 20 Jahren lediglich ein Dutzend Filme gezeichnet hat, scheint uns besonders relevant. 1966, als CINEMA Nummer 46 herauskam, lagen La sfida, I Magliari, Salvatore Giuliano, Le mani sulla città und II momento della verità vor, ein ziemlich geschlossenes Werk, aufklärerisch aggressiv, optimistisch auch. Die Filme nannten Schuldige, entlarvten, agitierten. Der Francesco Rosi des Jahres 1981, Autor von Tre fratelli, ist noch derselbe und ist nicht mehr derselbe. Vor allem seine beiden letzten Filme, Cristo si è fermato a Eboli und der schon genannte Tre fratelli, zeigen an, dass etwas zerbrochen und etwas anderes gewachsen ist. Die Aufsätze in diesem Heft versuchen, Rosis Entwicklung zu verstehen — im Kontext einer Welt, deren verunsicherte Zeitgenossen wir sind. Man hätte weiter ausgreifen können, hätte Bernardo Bertoluccis Hang zu Vormoderne miteinbeziehen können, Pasolinis Provinzialismus, Olmis Albero degli Zoccoli, Padre Padrone und II Prato von Paolo und Vittorio Taviani, all die verschiedenen und irgendwie doch vergleichbaren Rückgriffe auf die bäuerliche Kultur Italiens, diese Vergewisserungen des Herkommens aus dem Höhepunkt moderner Verwirrung heraus. Aber wir haben uns an Francesco Rosi gehalten; er scheint uns der klarste Spiegel einer europäischen Befindlichkeit zu sein, die auch die unsere ist. Tre fratelli, dieser melancholische Film der Krise, gab den Anlass. Martin Schaub

CINEMA #28/2
FRANCESCO ROSI