JUSTINE BAUDET

OURS (MORGANE FRUND)

Ours wurde an der Berlinale und den Solothurner Filmtagen gezeigt und gewann zahlreiche Preise: Den Schweizer Filmpreis für den besten Abschlussfilm, den Nonfiktionale-Preis der Stadt Bad Aibling, gar zwei Preise an den Schweizer Jugendfilmtagen, einen an den Internationalen Kurzfilmtagen Winterthur, einen am Go Short in den Niederlanden, am Hong Kong International Film Festival (HKIFF), etc.
 
Der Kurzfilm erzählt von der Begegnung der Regisseurin Morgane Frund mit Urs Amrein, einem Schweizer Amateurfilmer, der jahrelang Bären gefilmt hat. Während Urs sich auf seine Tierbilder konzentrieren sollte, sollte Morgane ihr Equipment aufbauen. Doch beim Digitalisieren von fast 200 Videokassetten stellt sie fest, dass nicht nur Bären auf den dokumentarischen Aufnahmen zu sehen sind... sondern auch Frauen, die ohne ihr Wissen gefilmt worden sind. Mutig beschliesst Morgane, ihrem Film eine neue Richtung zu geben, indem sie Urs mit diesen heimlichen Aufnahmen konfrontiert. Zwischen den beiden entfacht eine Diskussion über die Macht des Blickes und dessen voyeuristische Gewalt.
 
Der Ansatz der Regisseurin nimmt dann eine unerwartete Wendung. Zunächst reagiert Morgane hinter der Kamera, wechselt aber bald auf die andere Seite, um sich mit dem Urheber der beunruhigenden Aufnahmen auszutauschen. Sie nimmt seinen Standpunkt ein und versucht, die Diskrepanzen zwischen ihren beiden Wahrnehmungen zu verstehen. Der Kurzfilm zeigt den Zusammenprall zweier unterschiedlicher Welten. Die eine, die männliche, konzentriert sich auf die Formen der weiblichen Körper, die sie objektiviert. Die andere, weibliche, muss diesen sexualisierenden Blick häufig ertragen. Der Dialog auf Augenhöhe zwischen Morgane und Urs ist erhellend, auch wenn sie keine Antwort auf das Unbehagen finden, das der männliche Blick – der ‹male gaze› – auf den weiblichen Körper erzeugt. Entschlossen lädt dieser dokumentarische Essay, der sich mit einer allzu oft einseitig geführten Grundsatzdebatte auseinandersetzt, dazu ein offen zu sein.
 
Ours kann als Ausgangspunkt für die Überwindung dieses Diskussionspunktes verstanden werden. Der ‹male gaze› ist ein fester Bestandteil der Kunstgeschichte. Die Regisseurin, die bereits einen bewussten Umgang mit der Bearbeitung von Archivmaterial zeigt, führt ihre Überlegung noch weiter: Sie filmt ihre Unterhaltungen mit Urs in einem Kunstmuseum, um über weibliche und männliche Perspektiven zu sprechen. Indem sie Urs in ihre Welt einführt, verlagert sie den Dialog und gibt ihrem Blick als Filmemacherin einen wichtigen Platz. Sie tritt vor die Kamera, exponiert sich ebenso wie ihr Protagonist und initiiert eine Reflexion über die dokumentarische Arbeit als solche.
 
Aus dem Französischen von Simone Grüninger
Justine Baudet
*1993 in La Chaux-de-Fonds. 2014 Bachelor-Abschluss in Cinéma/Cinéma du réel an der HEAD Genf; 2019 Master-Abschluss in Geschichte und Ästhetik des Kinos an der UNIL Lausanne. Anschliessend Tätigkeit an mehreren Schweizer Filmfestivals, unter anderem am GIFF, am NIFFF und an den Visions du Réel. Seit 2023 Mitglied des Redaktionsteams der Schweizerischen Dachverein Die Zauberlaterne.
(Stand: 2025)
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