NOEMI DAUGAARD

L’ART DU SILENCE (MAURIZIUS STAERKLE DRUX)

Stille, das macht L’art du silence von Beginn an klar, ist ein persönliches Thema für Drux, dessen Vater, Pantomime Christoph Staerkle, gehörlos ist. Somit ist dies nicht nur ein Dokumenatrfilm über den französischen Pantomime Marcel Marceau, sondern auch ein Film über Körper und deren Ausdruck zwischen Geräuschen und Stille. Und so kommt Druxs Vater auch im Film vor, erzählt von persönlichen Erfahrungen der Ausgrenzung und von seiner Beziehung zur Pantomime. Die Verbindung zu Marceau, nicht gehörlos, sondern der Stille als Kunstform verpflichtet, mutet gleichzeitig prägnant und flüchtig an – ein Aspekt, der den gesamten Film prägt..
 
In diesem Film verfolgt Drux die vielen Stationen in Marceaus Leben, vom Einfluss Chaplins über die Traumata von Antisemitismus und Verfolgung bis hin zu Weltruhm und seinem Vermächtnis. Dabei greift er auf eine Vielzahl von Elementen zurück: Archivaufnahmen, nachgestellte Szenen, Talking Heads, Fotografien und zahlreiche Aufnahmen von Marceaus Familie. Aus dieser Quellenflut wird ein zeitloser, assoziativer und diffuser Bilderstrudel von Querverweisen und Verbindungen gewebt, der stets in alle Richtungen zu blicken versucht und klar geprägt ist von der Bewunderung, die der Regisseur seinem Objekt entgegenbringt. .
 
Untermalt wird das alles von einem besonders gelungenen Sound Design. So ist es auch die Tonebene, die die unzähligen und sehr diversen Quellenmaterialien und deren assoziatives und affektiv anmutendes Aneinanderreihen zusammenhält und Brücken bildet, wo es die Quellen allein nicht vermögen. Unterstützt von der sehr präzisen Montage, werden kunstvolle Atmosphären geschaffen und Emotionen transportiert. Teilweise überwältigt einen die komplex gestaltete Bild- und Tonebene fast..
 
Doch auch das Sound Design und die kohärenten Atmosphären können nicht davon ablenken, dass der Film vielleicht doch etwas zu dicht ist, etwas zu viel will und nicht den Mut hat, auf einzelne Elemente zu verzichten. «Kill your darlings» ist das Motto, das man Drux ans Herzen legen will. Zu viele Personen kommen zu Wort, zu sehr wird versucht, eine künstlerische Verbindung zwischen Grossvater und Enkelsohn Louis, einem Tänzer, zu erzeugen, zu viele Archivmaterialien werden aneinandergereiht. Leider bleibt bei dieser Informations- und Bildflut auch kein Platz für kritische Reflexion oder für eine Beleuchtung der Schattenseiten von Marceaus Ruhm. Und auch die Frauen in seinem Leben kommen leider viel zu wenig zur Sprache. .
 
Nichtsdestotrotz ist L’art du silence ein packender Film und ein atmosphärisch-ästhetisches Erlebnis für sich, selbst wenn man kein besonders Interesse an Pantomime hegt.
Noemi Daugaard
*1990, studierte in Zürich Filmwissenschaft, Anglistik und Kunstgeschichte. Sie ist Doktorandin am Seminar für Filmwissenschaft der Universität Zürich und arbeitet in der Forschungsförderung.
(Stand: 2021)
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