SARAH STUTTE

DIE SCHWARZE SPINNE (MARKUS FISCHER)

Das Emmental im 13. Jahrhundert. Die junge Hebamme Christine hilft im Dorf Sumiswald bei einer schweren Geburt und kehrt danach auf den nahegelegenen Familienhof zurück. Während sich ihre Schwester und deren Kinder über den Besuch freuen, verhält sich der Vater reserviert. Da seinerzeit seine Frau bei Christines Geburt starb, gibt er seiner ältesten Tochter immer noch die Schuld an deren Tod.
 
Als die das Dorf unterjochenden Deutschritter die Bewohner vor eine unlösbare Aufgabe stellen, verliert Christines Vater in der Folge sein Leben. In der stillen Hoffnung auf Wiedergutmachung und um Sumiswald zu retten, lässt sich die Frau deshalb auf einen Pakt mit dem Teufel ein. Als dieser, im Film als «Karrenmacher» bezeichnet, den Lohn für seine Hilfe jedoch nicht bekommt, bestraft er die Menschen mit einer Seuche. Christine wird von der Retterin zur Ausgestossenen.
 
Ein mittelalterliches Berner Dorf, in dem ein böser Ritter die ansässigen Bauern tyrannisiert. Eine sinnlose Forderung, die zu einem satanischen Handel führt. Ungetaufte Neugeborene, die dafür geopfert werden müssen. Eine egoistische Dorfgemeinschaft, die jegliche Verantwortung abschiebt und eine emanzipierte Aussenseiterin, die als Schuldige herhalten muss. Ein feiger Pfarrer und eine rächende Spinne, die Tod und Elend über das Volk bringt, vervollständigen den dunklen Reigen.
 
Mit dieser Ausgangslage hätte sich viel aus der 1842 erschienenen Novelle «Die schwarze Spinne» von Jeremias Gotthelf machen lassen, in der es um den immerwährenden Kampf mit dem Bösen geht. Seine Geschichte behandelt biblische Themen und Motive, wie beispielsweise die Taufe, die Sünde und den Glauben an Gott. In einer Rahmenhandlung und zwei Binnenerzählungen wird gemahnt: Wer fromm ist, besiegt das Böse. Leider verlieren die christlichen Dorfbewohner – vor eine unlösbare Aufgabe gestellt – ihr Gottvertrauen. Dafür bezahlen alle einen hohen Preis.
 
Auch wenn das historische Setting detailgetreu erscheint und einige Bilder – bis auf die Schattenallee – beeindrucken können, ist auf der Leinwand von der gruseligen Düsternis der Vorlage nicht viel geblieben. Das liegt zum einen daran, dass sich der Film ausschliesslich auf die erste Binnenerzählung konzentriert, was zu einer Banalisierung des Stoffes führt. Der Denkanstoss, der Gotthelf wichtig war, nämlich aus den Sagen der Vergangenheit zu lernen, geht dabei verloren. Darüber hinaus ist für einen Horrorfilm die zu Grunde liegende Gefahr nicht zu spüren. Weder die Spinne noch der Teufel, der nur einige Male zu sehen ist, wirken wirklich furchteinflössend. Genauso wie ein Ritter, der an einem Trauma leidet und deshalb – anders als bei Gotthelf – weder als stark noch als unterdrückend wahrgenommen wird.
 
Ferner ist der Ansatz zwar löblich, Christine in dieser Verfilmung nicht als totalen Fremdkörper und somit von Beginn an argwöhnisch beäugte Unglücksbringerin zu stilisieren. Doch auch als selbständige, starke Frauenfigur haftet ihr der Aussenseiterstatus an, der sie schlussendlich aus der Gemeinschaft drängt. Das Heimische wird so abermals als gut konnotiert und damit kein wirklicher Regelbruch begangen. Zudem beisst sich im Film die offensichtlich angestrebte Motivation, die weibliche Rollengestaltung aus den traditionellen Mustern zu lösen, mit dem Leitmotiv der Mütterlichkeit, die am Ende die Welt rettet.
 
So scheitert der Versuch, Gotthelfs Stück in die Neuzeit zu transportieren an den eigenen hohen Ansprüchen. Die erste filmische Adaption des Stoffes 1983 durch Regisseur Mark Rissi wählte einen innovativeren Weg. Sie nutzte den historischen Stoff als Parabel für eine vom Drogenelend gebeutelte Gegenwart. Von dieser Experimentierfreude und dem Mut zur Aktualität ist in Fischers Umsetzung wenig geblieben.
Sarah Stutte
*1977, studierte Journalistik, Literarisches Schreiben und Drehbuch in Zürich. Schreibt für zahlreiche Print- und Onlinemagazine im In- und Ausland sowie Booklet-Texte für deutsche Labels. Seit 2015 Mitglied des SVFJ. Jury NIFFF 2015, ZFF 2017, Black Movie Genf und
Locarno 2022. Festes Mitglied im Team des Kino Nische Winterthur.
(Stand: 2022)
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