THOMAS HUNZIKER

ANSCHT (MATTHIAS HUBER)

Gängige Horrorfilme geizen in der Regel nicht mit Szenen, in denen Blut spritzt und sich düstere Gestalten in dunklen Räumen verstecken. Dabei kann der ganz banale Alltag viel subtiler für Schrecken sorgen, besonders aus der Perspektive von Kindern. Um diese Ängste von Kindern – oder eben Anscht – dreht sich der kurze Animationsfilm von Matthias Huber. In kurzen Einstellungen beleuchtet Huber fünf Szenarien, die bei Kindern für Panik sorgen können. Einmal verliert das Kind auf einem Tellerlift die Bodenhaftung und schwebt davon. Das nächste Mal steht es mit der Mutter in der Schlange vor der Lebensmittelkasse, als der Mutter einfällt, dass sie noch etwas vergessen hat und davon eilt. Dann wagt es sich im Freibad nicht vom Sprungbrett, doch der Rückweg ist durch die wartenden Kinder versperrt. Eine Szene spielt auf der Toilette, wo sich das Kind einschliesst und danach die Tür nicht mehr aufbringt. Zuletzt steigt die Mutter mit Kinderwagen aus dem Bus aus, doch bevor sie dem älteren Kind helfen kann, schliesst sich bereits die Türe und der Bus fährt mit dem Kind ab.
 
Anscht ist ein kurzer Episodenfilm über ganz alltägliche Ängste, die Erwachsene höchstens am Rand mitbekommen. Matthias Huber reiht die einzelnen Episoden nicht einfach aneinander, sondern verwebt sie mit feinem Gespür für ein spannendes Timing ineinander. Insbesondere die Szene mit dem Kind vor der Lebensmittelkasse reizt er durch diese zeitliche Verstückelung bis zum Höhepunkt aus. Zunächst ist das Kind noch ganz gelassen. Danach wird es ein wenig unruhig, als eine Person nach der anderen bedient wird. Schliesslich entlädt sich seine Anspannung in einem sanften Heulanfall.
 
Die auf den ersten Blick sehr muntere 3D-Computer-Animation mit klaren Konturen und kontrastreichen Farben lädt eigentlich zum Schmunzeln ein. Doch unvermittelt öffnen sich immer wieder Abgründe. Die geschilderten Situationen wirken nämlich auf den ersten Blick zwar harmlos, wer sich aber in die Position des Kindes versetzt, erkennt rasch die unmittelbare Bedrohlichkeit. Auch auf der Tonspur sorgt der Regisseur durch eine beunruhigende Tonfolge und ein beharrliches Schnippgeräusch für ständige Verunsicherung. Da sich Huber für jede Szene auf eine einzelne Einstellung beschränkt, positioniert er zudem das Publikum konsequent in der Rolle der hilflosen Beobachter. Obschon sie die Gefahr erkennen, können sie doch nicht eingreifen. In der Schlusseinstellung schwebt dann noch einmal das Kind auf dem Tellerlift durch das Bild, für immer gefangen auf diesem Skilift des Schreckens.
Thomas Hunziker
*1975, Studium der Filmwissenschaft, Anglistik und Geschichte an der Universität Zürich. Er arbeitet als Radiologiefachmann und betreibt das Filmtagebuch filmsprung.ch. Mit seiner Partnerin und zwei Kindern lebt er in Schaffhausen.
(Stand: 2021)

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