THOMAS HUNZIKER

TO THE LAST DROP (SIMON SCHNELLMANN)

Da steht der Infusionsständer und wartet auf Kundschaft. Der volle Infusionsbeutel hängt bereit. Was sich darin befindet, wird ersichtlich, als sich die Tür mit der Aufschrift «Chemotherapie» öffnet. Ein Mann tritt ein und lässt sich widerwillig auf die Behandlung ein. Bald schon fallen die Haare aus. Die Auswirkungen der Therapie und die Intensität der Behandlung mit Kontrollen und Bilddiagnostik werden in der Folge die Beziehung des Infusionsständers und des Patienten auf eine harte Probe stellen. Doch als sich der erschöpfte Patient von seiner Infusion trennt, wartet bereits der Tod auf seinen Auftritt und stellt einen Sarg bereit. Die Zweckgemeinschaft von Medizin und Patient erhält eine zweite Chance. Mit gnadenloser Ehrlichkeit schildert der Filmemacher Simon Schnellmann in seinem kurzen Animationsfilm To the Last Drop den Kampf eines Tumorpatienten auf Leben und Tod. Wie in seinem vorherigen Werk Das Leben ist hart (CH 2016) bedient er sich dabei einfachster Zeichenanimation mit prägnanten Strichen. So reduziert die Zeichentechnik ist, so virtuos spielt Schnellmann mit dem Bildrahmen. Zum Auftakt wird der Ausschnitt auf einen beleuchteten Raum in der Mitte der Leinwand begrenzt. Erst als der Tod sich in das Geschehen einmischt, wird der Rahmen gesprengt. Die Handlung dehnt sich auf die Dunkelheit aus, die erst später ausgeleuchtet wird. Zu Klängen aus Tschaikowskys Schwanensee tanzen der Infusionsständer und der Patient ein wirbliges Duett. Das Glück ist allerdings nur von kurzer Dauer, denn die Nebenwirkungen der Therapie rufen den Tod wieder auf den Plan. Schliesslich opfert sich der Infusionsständer. Zum Trost erhält der weinende Patient vom Tod eine Schachtel mit Taschentüchern geschenkt. Die Tür zur Dunkelheit schliesst sich endlich – doch der Tod verabschiedet sich lediglich augenzwinkernd mit der Botschaft «Bis bald».
 
Trotz der makabren Thematik inszeniert Schnellmann den berührenden Kampf gegen die Krankheit mit einer verspielten Leichtigkeit, die durchaus ihre humorvollen Aspekte enthält. Durch diese leichtfüssigen Kontraste und die einfache Zeichentechnik erinnert To the Last Drop nicht zuletzt an den ebenfalls kurzen Animationsfilm Bon Voyage (CH 2011), in dem Fabio Friedli ebenso treffend mit lockeren Strichen ein ernsthaftes Thema auf eingängliche Weise vermittelt.
Thomas Hunziker
*1975, Studium der Filmwissenschaft, Anglistik und Geschichte an der Universität Zürich. Er arbeitet als Radiologiefachmann und betreibt das Filmtagebuch filmsprung.ch. Mit seiner Partnerin und zwei Kindern lebt er in Schaffhausen.
(Stand: 2021)

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