DORIS SENN

TAMING THE GARDEN (SALOMÉ JASHI)

Zwei Angler im dunstigen Blau am Meer. In der Ferne ein Baum, der in voller Grösse übers Wasser gleitet: auf einem Lastkahn, sanft geschoben durch ein Schleppschiff, Fata-Morgana-gleich. Dann eine Piste, die vom Landesinneren direkt ins Meer führt, ein üppiges Waldstück, ein grün überwachsenes Wartehäuschen, Rauchschwaden, träumerische Flötenmusik...
 
Mit Szenerien wie diesen, entstanden über zwei Jahre Drehzeit, führt uns die georgische Journalistin und Dokumentarfilmerin Salomé Jashi ohne Umschweife und ohne jeglichen Off-Kommentar in Taming the Garden in ein unwirklich anmutendes Universum des Bizarren und Absurden. Elliptische, auf Anhieb auch etwas rätselhafte Aufnahmen, die sich wie Puzzleteile zu einem Narrativ fügen und zeigen, wie mit viel Manneskraft und technischem Gerät unter dem Staunen und teils Tränen der Anwohner_innen alte, majestätische Bäume ausgegraben, durchs Land transportiert und verschifft werden – um schliesslich im Park eines georgischen Potentaten wieder eingepflanzt zu werden. Ein herkulisches Unterfangen. Da werden die Wurzeln von mindestens 100-jährigen Bäumen mittels Bagger und Riesenbohrer, die sich ins Erdreich pressen, aus dem Boden gefräst, die ausladenden Kronen gestutzt und die Baumriesen auf Lastwagen gehievt, die sie in gedrosseltem Tempo Richtung Meer fahren. Ohne Rücksicht auf Kollateralschäden: Landstücke werden versehrt, Bäume, die im Weg stehen, gefällt, Stromleitungen verlegt und wenn nötig Schneisen gebaut.
 
Wie viel wiegt ein Baum? Was ist er wert? Und vor allem: Wozu das alles? Die Menschen und Arbeiter im ländlichen Georgien werweissen und wundern sich, äussern verhohlen Kritik. Die Marotte eines Milliardärs, des immer noch einflussreichen Ex-Premiers Iwanischwili, steckt hinter dem Vorhaben, das allein schon ob seiner Dimensionen eine mythische, ja fast sakrale Aura umgibt. Im Film fügen sich unspektakuläre Blicke auf Arbeiter in der Rauchpause, auf Bauern, die um die Angemessenheit des Entgelts diskutieren, oder auf Frauen, die wehmütig in einem kleinen Tross den Entwurzelten Geleit geben, neben exzentrisch-schöne Aufnahmen wie die, die den Baum auf grosser Fahrt übers Meer zeigt. Dabei klingen unweigerlich Fragen zum Verhältnis von Mensch und Natur, zu Reich und Arm, Macht und Ohnmacht an. Taming the Garden wird so zur poetischen Parabel, befremdlich und faszinierend zugleich. Und findet ihren gebührenden Schluss, wenn im Park die alterwürdigen Bäume ihren neuen Platz gefunden haben und eine Choreografie aus Sprinkleranlagen und lautmalerischer Chormusik dem Paradiesgarten aus Menschenhand einen wundersam schrägen Zauber verleiht.
Doris Senn
Freie Filmjournalistin SVFJ, lebt in Zürich.
(Stand: 2021)
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