MILOŠ LAZOVIĆ

LIVING WATER (PAVEL BORECKÝ)

Die Wege der Herrin sind verschlungen. Mit diesen Worten könnte man die eineinviertelstündige filmische Dokumentation der Infrastrukturen und Netzwerke, der verschiedenen Lebensformen und der sozialen Praktiken, die mit Wasser zu tun haben, beschreiben. Der formal-ästhetisch und thematisch an Watermark (Jennifer Baichwal, Edward Burtynsky, CA 2013) erinnernde, jedoch räumlich auf Jordanien als das zweittrockenste Land der Welt beschränkte Dokumentarfilm ist im Gegensatz dazu im Umfeld eines Forschungsprojektes an der Universität Bern entstanden, was seinen Umgang mit der Kamerarealität stark prägte.
 
Das an den Lehrstühlen für Kulturanthropologie mittlerweile gut gepflegte Denken in Begriffen der Akteur-Netzwerk-Theorie Bruno Latours wurde hier filmisch umgesetzt, sodass die Verfolgung der verschiedenen materiellen und semiotischen Spuren mit der Kamera in ein meditatives Assoziationsspiel mündet, wodurch sich ein kohärentes Weltbild ergibt. Die Wasserknappheit in der Wadi Rum Wüste im Süden Jordaniens ist dabei nur ein Ausgangspunkt im Netzwerk der Beziehungen und Geschichten, welche von Wasser beherrscht sind.
 
Die Verfolgung der Rillen, die das verschwundene Wasser dort hinterlassen hat, sowie die von Menschen gelegten Wasserröhren, veranschaulicht mit Auto- und Kamerafahrten sowie zahlreichen Schwenks, lassen zusammen mit der langen Einstellungsdauer diese und weitere Infrastrukturen wie die Einkerbungen einer Schallplatte ertönen. Plötzlich bekommt so eine Bewässerungsmaschine, ein Springbrunnen oder ein Computerprogramm seine eigene Stimme. Die Stimmen der Menschen und sonstige Geräusche sind dabei weitgehend mit Verzögerung zu hören.
 
Die Objekte werden auf diese Weise den Personen im Netzwerk gleichgesetzt und verwandeln sich zu Akteuren, die nicht von der Kamera herangegangen werden, sondern von denen sich die Kamera durch Vergrösserung der Einstellungen entfernt und sie somit im Netz situiert. Dafür, dass die Situierung nicht nur räumlich bleibt, sorgen die mehrmals eingefügten Archivaufnahmen aus der Kolonialzeit, der späteren politischen Zusammenkünfte und der verheerenden Folgen von Überschwemmungen, sowie der utopische Werbespot eines Bauunternehmens. Die entgegengesetzten Blicke und Äusserungen der Landwirte, der Beduinen, der Wissenschaftler, der Arbeiter der Wasserversorgungsfirma und der Beamten zum Thema ermöglichen eine differenzierte Erfassung der aus der Wasserknappheit hervorgegangenen Konfliktlage.
 
Die Metageschichte über die Wasserknappheit erzählt dabei episodenhaft eine weibliche Stimme, die zuerst ausserhalb des Netzes und des Bildes, das sonst gänzlich von Männern beherrscht wird, verortet ist. Sie fragt nach dem Schicksal der Wesen, die im Wasser lebten, berichtet von den gefundenen fossilisierten Pflanzen und Tieren im Flussbecken und stellt schliesslich – im Bild von einer weissen älteren Frau verkörpert – aufklärerisch fest, dass die eigentlichen Probleme die Unsichtbarkeit der Welt und die fehlende Sorgfalt sind. Aufgrund der Metaerzählung, die vorgefertigte Antworten liefert, scheitert der Film jedoch, eine offene wissensgenerierende Praxis zu sein, und bleibt schliesslich dem traditionelleren Modus der teilnehmenden Beobachtung treu.
Miloš Lazović
*1995, Studium der Philologie in Belgrad, Zürich, Poznań und Brno. Derzeit im Masterstudium an der Universität Zürich in den Fächern Kulturanalyse und Filmwissenschaft und Redaktionsmitglied des CINEMA Jahrbuchs.
(Stand: 2021)
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