DORIS SENN

APENAS EL SOL (ARAMI ULLÓN)

In bedächtiger Abfolge sehen wir Bilder einer kargen Landschaft hinter fliehenden Staubwolken: verbrannte Baumstämme, die dünn in den Himmel ragen, Pferdekadaver am Strassenrand, Fische, die tot auf der kargen Erde liegen. Alles Opfer der Waldbrände. «Die Natur warnt uns vor Gefahren», meint aus dem Off Mateo Sobode Chiqueño, geboren als Ayoreo – ein Volksstamm, der nomadisch im Wald Paraguays lebte, in einem kleinen irdischen Paradies. Dezimiert und vertrieben wurden die Ayoreo vor rund 60 Jahren durch weisse Missionare und Viehzüchter. Seither leben sie mit Almosen des Staats in Schuppen auf einem trostlosen Gelände, durch das in der Dämmerung die Ermahnungen der Prediger aus den Lautsprechern hallen.
 
Mateo ist mit seinem Kassettengerät unterwegs, um Erinnerungen an das Leben in den Wäldern und die Vertreibung für die Zukunft zu sammeln. Er befragt Gleichaltrige – mit ihren sonnengegerbten, runzligen Gesichtern –, erkundet Befindlichkeiten, alte Heilrituale und nimmt schamanistische Lieder auf über Geister, die sich als Rauch materialisieren und gen Osten entschwinden. Die Vorfahren beteten die Sonne an, «nur die Sonne», wie Mateo festhält – und damit den Titel des Films setzt. Nun sitzen die Ayoreo in den Bänken eines ärmlichen Gotteshauses, stumpf, schwermütig, gegängelt von den starren Regeln der Missionare, während die Jungen sich zunehmend der Lebensweise und Religion der Weissen angepasst haben.
 
Die Kamera in Apenas el sol ist unaufdringliche Begleiterin. Aus respektvoller Distanz zeigt sie die Menschen, verweilt in Grossaufnahme auf Augen, Hand, Knöchel oder ausgefädelten Kassetten, die mühsam wieder eingefädelt werden – als letzte kostbare Zeugnisse einer untergehenden Kultur und längst selbst ein Relikt aus anderer Zeit. Eine Kultur, die Mateo in einfühlsamen Gesprächen auf Tonband und Arami Ullón dank ihrem nicht minder einfühlsamen Film auf poetische Art einzufangen und zu bewahren sucht.
 
2014 präsentierte die 43-jährige Regisseurin ihren Erstling El tiempo nublado (CH/PY 2014) – als ersten von Paraguay bei den Oscars eingereichten Film –, in dem es um ihre Beziehung zu ihrer pflegebedürftigen Mutter geht, die Arami Ullón in Paraguay zurücklässt, als sie die Liebe in die Schweiz führt. Mit ihrem zweiten Dokfilm, Apenas el sol, vollbringt Ullón nun eine wunderbare, wie aus der Zeit gefallene, atmosphärische Annäherung an einen Volksstamm, der – obwohl im Wald noch kleine Gruppen überleben – unwiederbringlich dem Untergang geweiht ist und dessen poetisches Porträt von der anhaltenden Gewalt ausbeuterischer Mächte gegenüber Mensch und Natur kündet.
Doris Senn
Freie Filmjournalistin SVFJ, lebt in Zürich.
(Stand: 2021)
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