CHRISTIAN FINGER

GATEWAYS TO NEW YORK (MARTIN WITZ)

SELECTION CINEMA

Die Dokumentation des Zürcher Filmemachers Martin Witz sieht sich wie eine kleine Kulturgeschichte des modernen Brückenbaus: Je nach Blickwinkel können Brücken Menschen über Hindernisse hinweg zusammenführen oder mit ihren Zufahrtsrampen ganze Wohnquartiere durchtrennen; sie können majestätisch schwebende oder bei Fehlplanung schwankende und sogar einsturzgefährdete Bauwerke sein. In New York City sind sie zudem Einfallstore (‹Gateways›) nach Manhattan für die heranbrausenden Menschenmassen und Autolawinen eines ungebremsten Wirtschaftswachstums in Zeiten des Fordismus.

Die Metropole New York wächst nach Ende des Ersten Weltkriegs rasant zu einer der weltweit wichtigsten Wirtschaftsregionen heran. Der Boom ruft Verkehrsplaner und Ingenieure auf den Plan und schreit nach ganz neuartigen technischen Lösungen. Hier kommt nun der Schweizer ETH-Ingenieur Othmar H. Ammann ins Spiel, der 1904 nach seinem Studium in Hänschen-klein-Manier in die weite Welt hinauszieht, um vom Greenhorn zu einem der bedeutendsten Brückenbauer von New York und den USA aufzusteigen.

Anders als sein Arbeitgeber und Vorbild Gustav Lindenthal, in dessen Ingenieurbüro er schon bald zum Chef-Assistenten aufsteigt, erkennt Ammann mit visionärem Blick, dass die neuen Brücken nicht für den Eisenbahnverkehr, sondern für die in Massenproduktion hergestellten und für immer mehr Amerikaner erschwinglichen autonomen Blechkarosserien benötigt werden.

Still und heimlich konzipiert Ammann gegen die monströse Eisenbahnbrücke seines Chefs eine viel leichtere und kostengünstigere Autobrücke und bekommt 1925 den Zuschlag für die bis dahin weltweit längste Hängebrücke – die 65 Meter hohe und 1451 Meter lange George Washington Bridge über den Hudson River.

Ammann gilt als visionärer Ingenieur mit ästhetischem Feinsinn, zudem ist er bezüglich der Baukosten und termingerechter Fertigstellung äusserst zuverlässig. Und nicht zuletzt setzt er sich bei den Bauherren für lebensrettende Sicherheitsnetze für seine «Skywalker» ein, die in schwindelerregender Höhe unter hohem Zeitdruck Stahlträger zusammennieten.

Regisseur Martin Witz zeigt in eindrücklichen Bildern aus damaliger und heutiger Zeit den Aufstieg New Yorks mit seinen Wolkenkratzern, Highways und gigantischen Hängebrücken und verknüpft diese Erfolgsstory mit dem erfolgreichen Werdegang des immer bescheiden gebliebenen Zürcher Ingenieurs Othmar Ammann, der anhand von Zitaten aus seinen Briefen und Aufzeichnungen und in Form von Interviews mit Zeitzeugen noch einmal greifbar zum Leben erweckt wird.

So wird auf der Kinoleinwand faktenreich und dennoch kurzweilig nachvollziehbar, wie sehr die Erfolgsgeschichten von New York City und dem Ingenieur Othmar Ammann miteinander verbunden sind.

Christian Finger
*1977 in Stuttgart, M.A. in Literatur- und Kulturwissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin, Ausbildung zum Buchhändler in Köln und später mehrjährige Mitarbeit in der Nicolaischen Buchhandlung in Berlin-Friedenau. TV-Redakteur in der Nachrichten-Redaktion des regionalen Fernsehsenders tv.berlin sowie TV-Reporter und Produktionsassistent bei diversen TV-Magazinen. Seit 2015 freier Online-Redakteur und Betreiber eigener Webseiten im Bereich ‹Unterhaltung und Kultur›.
(Stand: 2021)
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