DAVID EUGSTER

PASSION – ZWISCHEN REVOLTE UND RESIGNATION (CHRISTIAN LABHART)

SELECTION CINEMA

Am Anfang des Films spricht Bertolt Brecht mit fragiler Stimme ins Dunkle: «Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten! (…) Der Lachende hat die furchtbare Nachricht nur noch nicht empfangen.» Nach den 1939 im Exil verfassten Worten ertönt die Matthäuspassion und ein Helikopter zerschneidet mit Scheinwerfern die Nacht. Szenen vom G-20-Gipfel in Hamburg 2017 zeigen einen Aufmarsch der Polizei – eine düstere Prozession der Staatsgewalt. Doch dann wendet der Blick des Films sich ab, blickt tief in eine Hamburger Pfütze – es folgt Footage vom Globuskrawall. Der Sprecher sagt: «Erinnerungen kommen hoch, an einen Sommer, der mein Leben veränderte. Vor 50 Jahren, als alles begann.»

Mit «alles» mein Christian Labhart in seinem Essay-Film Passion – zwischen Revolte und Resignation insbesondere seine eigene politische Biografie: Passion sei ein Film über seinen «Umgang mit der schmerzlichen Tatsache, dass die Welt heute nicht so ist, wie ich sie mir vor 50 Jahren erträumte.» Er verspricht Bilder einer Welt des «entfesselten Kapitalismus».

In einer weiteren Sequenz, die das Bedrohungsszenario des Anfangs in seiner Wucht noch einmal einholt, gleitet ein Kreuzfahrtschiff vor Venedig. Sein gleissendes Licht zeigt die Silhouetten der touristischen Voyeure an der Reling umso deutlicher. Das Bild folgt auf ein längeres Zitat aus Guy Debords Buch «Gesellschaft des Spektakels». Dazu Bilder, die wohl das Elend in der «totalitären Warengesellschaft» zeigen sollen: Japanische Rentner, die von Yoga-Robotern animiert werden, Touristen, die sich von Schlauchbooten aus Seelöwen ansehen, Casinos, und ganz viele Bildschirme. In mehreren Passagen verschreibt sich der Film einer Gesellschafts-Kritik, welche die Unterdrückung vor allem in der «Bewusstseins-Industrie» lokalisiert. Und dem Leben im Falschen, das in der Glotze läuft und dem die anderen nachstreben, setzt Christian Labhart das richtige Leben entgegen: das eigene nämlich. So werden Bilder vom Elend der Welt – oder auch nur von Fitnesscentern, die in Nachfolge Adornos damit gleichgestellt werden – zur blossen Illustration der eigenen Biografie.

Labhart versucht, einem Sammelsurium kulturpessimistischer Miszellen durch eine Reflexion über seine Enttäuschung, dass die Utopien von 1968 nicht erreicht wurden, eine Struktur zu geben. Doch die dystopoiden Szenerien und das Sprechen über die eigene Misere mögen nicht so recht zusammenfinden. Die Bedrohung, die in der ersten Szene aufflackert, verschwimmt hinter dem Spektakel des Biografischen. Das nostalgisch Räsonnierende über das eigene Leiden an der Welt verstellt Labhart den genauen Blick auf die Welt, das Essayistische wird zur Recherche-Verweigerung.

David Eugster
David Eugster ist Kulturwissenschaftler.
(Stand: 2021)
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