DORIS SENN

ALL INCLUSIVE (HEIDI CORINA SCHWINGRUBER ILIC)

SELECTION CINEMA

Es sind surreale Bilder: etwa wie sich ein Mann durchs Rohr einer riesigen Wasserrutschbahn zwängt; Fensterbalkone, die sich bildfüllend vorbeischieben, um sich als Teil eines Riesendampfers zu enthüllen; Menschen im engen Schwimmbassin, die durchs Fenster einem anderen Kreuzfahrtschiff zuwinken; ein Zipliner, der durchs Bild flitzt – von der einen Schiffsseite zur anderen. Dazwischen Aufnahmen der Besatzung, die in riesigen Esssälen die hungrigen Massen bedient, nachts den Pool putzt, Liegestühle in Reih und Glied rückt. Es sind Momentaufnahmen aus der ‹schönsten Zeit des Jahres›; Bilder, die Einblick in eine boomende Urlaubsindustrie geben, in der Menschen die Welt vom schützenden Kokon der Schiffskajüte aus bereisen; Menschen, die von anderen gespeist und unterhalten werden.

Corina Schwingruber Ilić fokussiert in ihrem neusten Kurzfilm All Inclusive auf ein modernes Sehnsuchtsszenario. Nach preisgekrönten Kurzfilmen, die sich meist einer eher unscheinbaren Welt im Kleinen widmen – etwa Baggerfahrern in Zürich (Baggern, 2011), Waldarbeitern (Ins Holz, 2017) oder einer kleinen Gemeinschaft von Losern in einem dörflichen Kiosk in Serbien (Kod Ćoška, 2013) –, gewährt sie hier einen Einblick in den Mikrokosmos eines Kreuzfahrtschiffs. Bedrückende Leere und Einsamkeit wechseln sich in den Einstellungen ab mit wuselnder Dichte und bemühter Action. In langen, eigenwilligen Einstellungen bleibt der Film auf Distanz zu diesem beklemmenden Schlaraffenland und den teils skurril anmutenden Szenen und Szenerien, die ins Blickfeld der Kamera geraten. All Inclusive verzichtet auf einen Kommentar ebenso wie auf Statements von Reisenden oder der Crew, die das Geschehen auf eine persönliche oder wertende Ebene hieven würden.

Doch wird klar: Es ist eher Dystopie als Utopie. In einer futuristisch anmutenden Kulisse erfasst der zehnminütige Film das ‹Unternehmen Ferien›, das vor allem im Vertreiben der allezeit schwelenden Langeweile besteht, nie in authentischem Erleben. Von fern erinnert der Dampfer an eine moderne Arche Noah, die Sinn und Ziel in sich selbst hat: das Reisen als inhaltsloses Unterwegssein, das Schiff als Ort der Dauerbespassung, das Meer als Requisit, das nur am Rand ins Bild rückt. Das Mosaik an Eindrücken und Bildern vom Alltag auf dem Ferienschiff lässt einem das Lachen im Hals ersticken und All Inclusive zu einem bizarren Abbild der zeitgenössischen Konsumgesellschaft werden.

Doris Senn
Freie Filmjournalistin SVFJ, lebt in Zürich.
(Stand: 2021)
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