René Gardi (1909–2000), Berner Sekundarlehrer und Jugendbuchautor, prägte mit seinen Reportagen aus dem ‹afrikanischen Hinterland› über Jahrzehnte das Afrika-Bild der Schweiz. Als gefragter Referent, mit populären Bildbänden und seinen Auftritten in Radio und Fernsehen brachte er Ungehörtes und Ungesehenes in die Schweizer Stuben und war bekannt bei Gross und Klein, in der Stadt wie auf dem Land, in linken wie rechten Kreisen.
Der Experimental- und Dokumentarfilmer Mischa Hedinger widmet seinen ersten langen Dokfilm nun einem Porträt des Forschungsreisenden. African Mirror ist sorgfältig recherchiert und schöpft Film- und Foto-, Ton- und Textmaterial aus Gardis Nachlass im Zeichen einer kritischen Annäherung an sein Schaffen und Wirken.
Ab 1948 reiste René Gardi nach Afrika, filmte nackte ‹Wilde› und verfasste schwärmerische Berichte von ihrem selbstgenügsamen Dasein. Ohne ethnografisches Wissen näherte er sich den ‹Negern›, die traditionsbewusst und selbstbestimmt ein Leben lebten, das Gardi als ‹urdemokratisch› empfand und mit demjenigen unserer Bergler verglich. In Afrika wähnte er sich in ‹Arkadien›, die in Freiheit lebenden Stämme sah er als Gegenpol zu den ‹entwickelten› Gesellschaften, die von Konsum und Kapitalismus, von Sicherheitsdenken und sozialer Kontrolle geknebelt würden. Während man Gardi eine «unstillbare Sehnsucht nach dem Unberührten» attestierte, war dieser nicht zuletzt auf der Flucht vor zivilisatorischen Zwängen. Überraschend stiess Hedinger bei seinen Recherchen auf einen Gerichtsfall von 1945, bei dem Gardi wegen ‹Unzucht› mit Schülern verurteilt wurde. Diese Entdeckung, unpolemisch in den Film eingeflochten, lässt Hedinger sicher zu Recht auch Bezüge zu Gardis Afrika-Obsession und seiner Suche nach der ‹unschuldigen Reinheit› erkennen.
Aus heutiger Sicht befremden Gardis Afrika-Filme nicht nur wegen ihres paternalistisch-kolonialistischen Tons, sondern auch aufgrund der eingestandenen Inszenierung der Bilder. Sein erster Langfilm Mandara (CH 1960) schaffte es 1960 zwar an die Berlinale, doch der Film floppte: zu wenig reisserisch für die einen – für die anderen schlicht reaktionär. Zunehmend überkamen Gardi Zweifel ob der Entwicklungen in Afrika: seien es die Repressionen der Kolonialherren, die nationalen Freiheitsbestrebungen oder der einbrechende Tourismus, dem er – bittere Einsicht – mit seinen Reportagen selbst den Weg geebnet hatte. African Mirror bringt all dies zur Sprache und wirft dabei auch ein Schlaglicht auf die Schweiz, die – mitunter als «Kolonialstaat ohne Kolonien» – das Gedankengut des Kolonialismus, das Gardi über Jahrzehnte verkündete, zum eigenen Profit mitvertrat.