KATJA ZELLWEGER

L‘INTRUSA (LEONARDO DI COSTANZO)

SELECTION CINEMA

L’intrusa, der zweite Spielfilm des italienischen Regisseurs Leonardo Di Costanzo, ist ein Mafiafilm. Doch es wird weder geballert, getötet noch gedealt. Stattdessen werden machoide Mafiosi, überbewertete Clan-Kodizes, sinnlose Gewaltorgien und illegale Machenschaften ausgeklammert. Auch irritierende Verharmlosungen im Namen der Fiktionalisierung – so wie es mit dem kolumbianischen Drogenboss Pablo Escobar beinah inflationär betrieben wird – sucht man in diesem Film zum Glück vergeblich. Stattdessen macht L’intrusa deutlich, wie die Taten der Mafia die ganze Gesellschaft durchdringen.

Di Costanzo porträtiert feinfühlig den Mikrokosmos eines so weit als möglich idyllisch hergerichteten Kinderhorts in einem ärmeren Bezirk Neapels. Hier werden Fantasievögel gekleistert und eine fahrende Skulptur konstruiert, hässliche Wände liebevoll angemalt und dem wenigen Boden ein Gärtchen abgetrotzt – als Gärtner zu sehen: Marcello Fonte, diesjähriger Palme-d’Or-Gewinner für die Hauptrolle in Dogman von Matteo Garrone. Regisseur Di Costanzo unterstreicht die konträren Welten farblich – der Mikrokosmos ist vom Tageslicht erhellt, während die selten gezeigte Aussenwelt der Schule und der Strasse meistens von der nächtlichen Dunkelheit überschattet wird.

Auch spielt Di Costanzo bewusst mit dem sozialen Gefälle des Italienischen: Der Kinderhort steht unter der Ägide der anmutig ihre «R» im hinteren Gaumen kratzenden Turinerin Giovanna (Raffaella Giordano). Ihr Italienisch wirkt fast unnatürlich deutlich und sauber gegenüber dem schlingernden, keifenden und patzig verkürzten Neapolitanisch der anderen. Obwohl der Dialekt sehr ausgeprägt ist, wurde er nicht offiziell als Minderheitensprache anerkannt, sondern als Slang der Unterschicht herabgestuft. Ausgerechnet die junge Frau namens Maria mit ihrem alles verschluckenden Akzent, der ihr eine kindlich-widerspenstige Attitüde verleiht, hat im Hort mit ihrem Säugling und der Tochter Rita Unterschlupf gesucht. Doch hat sie auch ihren Mann versteckt, der fälschlicherweise für die Mafia einen Unschuldigen ermordet hat und von einer bewaffneten Polizeieinheit im Kinderhort überführt wird. Entgegen allen Erwartungen kommt Maria zurück und weigert sich standhaft, zu gehen. Der Widerstand der Eltern – bezeichnenderweise nur junge Mütter und Grossmütter – lässt nicht auf sich warten, niemand möchte den Eindringling der Mafia, wortwörtlich «l’intrusa», weiterhin im Hort beherbergen. Doch Giovanna, auch ihr Name hat eine religiöse Komponente, hält unbeirrbar fest an ihrer Vision eines Ortes, an dem Kinder nicht an den Taten ihrer Eltern gemessen werden.

Katja Zellweger
*1986, Studium der Germanistik und Kunstgeschichte in Bern, arbeitet als Redaktorin der Berner Kulturagenda, 2014–2017 als Produktionsleitung und Teil der Programmationsgruppe im Schlachthaus Theater Bern tätig, davor wissenschaftliche Mitarbeit im Robert Walser-Zentrum Bern, Co-Gründung des «Dislike. Magazin für Unmutsbekundung», einem Format, das die Mannigfaltigkeit von Kritik zelebriert. Filmkritiken für filmexplorer.ch, Filmbulletin und Cineman im Rahmen der Critics Academy Locarno, in Bern vor allem im Kino Rex anzutreffen.
(Stand: 2021)

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