KATJA ZELLWEGER

LES DAMES (STÉPHANIE CHUAT, VÉRONIQUE REYMOND)

SELECTION CINEMA

Mit ihrem ersten Spielfilm La petite chambre (2010) machten die Schweizer Regisseurinnen Stéphanie Chuat und Véronique Reymond die Akzeptanz des Inakzeptablen zum Thema. Der betagte Edmond hält trotz zunehmenden Alters an seiner Eigenständigkeit fest und verweigert sich dem Umzug ins Heim, bis er in seiner Spitex-Hilfe Rose einen starken Rückhalt findet, und wieder Hoffnung schöpft, nicht in Einsamkeit verenden zu müssen.

Das Alter lässt Chuat und Reymond auch in ihrer neuen filmischen Arbeit Les Dames nicht los. Sie beweisen grosses Gespür für eine Altersklasse, deren Lebenserwartung und -qualität generell zunimmt, die aber in unserer Gesellschaft gerne abgeschrieben wird. Zu Unrecht, wie die Regisseurinnen mit ihrem neuen Dokumentarfilm beweisen. Während eines Jahrs haben sie fünf Protagonistinnen zwischen sechzig und siebzig begleitet, deren Ruhestand plötzlich allein stattfinden soll.

Marion, Odile, Pierrette, Noëlle und Carmen sind «alleinstehend», wie der Volksmund so unschön sagt. Sie sind verwitwet, frisch getrennt oder seit Längerem auf der Suche. Mal zögerlich, mal mit Elan, mal mit letzter Hoffnung wagen sich die Damen in den dritten Lebensabschnitt vor und überwinden dabei genauso eigene wie fremde Vorurteile und Ängste. Während sich die eine «unsichtbar» fühlt, beklagt die andere, dass sie nur auf ihre schönen Beine reduziert werde, und eine dritte stellt fest, dass ihr Witwenstatus vom Umfeld genauestens beobachtet werde. Während sich die eine aktiv Hobbys und ein Online-Dating-Profil zulegt und eine neue Liebe findet, überwindet die nächste ihre Einsamkeit mit dem Beitritt in einen Jagdverein. Carmen, deren Trennungsschmerz noch frisch ist, erkämpft sich tapfer und mutig den Weg in einen Alltag, den sie als Ehefrau und Mutter so nie gelebt hat. Und auch wenn der Schock noch tief sitzt, gibt sie ihren Traum von einem Prinzen fürs Alter nicht auf.

Der Dokumentarfilm bedient sich einer genreüblichen Kameraführung, zeigt die Protagonistinnen in Interviews und im Alltag. So unaufgeregt wie diese Dokumentationsform daherkommt, so überzeugend wird Einsamkeit im Alter als etwas Überwindbares gezeigt und als Lebensabschnitt, der nicht nur inakzeptable Abstriche beinhalten muss. Die noch viel schönere Erfahrung, die sich beim Schauen einstellt: Wer ‹amitié› sucht, findet vielleicht sogar ‹amour› – und Sexualität wird mit zunehmendem Alter umso unverkrampfter.

Katja Zellweger
*1986, Studium der Germanistik und Kunstgeschichte in Bern, arbeitet als Redaktorin der Berner Kulturagenda, 2014–2017 als Produktionsleitung und Teil der Programmationsgruppe im Schlachthaus Theater Bern tätig, davor wissenschaftliche Mitarbeit im Robert Walser-Zentrum Bern, Co-Gründung des «Dislike. Magazin für Unmutsbekundung», einem Format, das die Mannigfaltigkeit von Kritik zelebriert. Filmkritiken für filmexplorer.ch, Filmbulletin und Cineman im Rahmen der Critics Academy Locarno, in Bern vor allem im Kino Rex anzutreffen.
(Stand: 2021)

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