SIMON MEIER

GUERRA E PACE (MARTINA PARENTI, MASSIMO D'ANOLFI)

Kriegsfotografie und dokumentarische Kriegsfilmaufnahmen sind etwas vom Verstörendsten, was die Fotografie und Kinematografie hervorgebracht haben: In die tiefsten Abgründe dessen, zu was Menschen fähig sind, dringen sie vor, und zeigen uns Gräueltaten, die zuweilen an der Grenze des Ertragbaren und Zeigbaren sind. Kriegsfotografie und gerade die filmischen Kriegsaufnahmen zur Berichterstattung sind allerdings in ihrem Wesen nach oft politisch motiviert, sollen sie doch die Intervention einer Kriegspartei legitimieren. So ist nicht immer klar, was inszeniert und was in der Tat dokumentarisch festgehalten wurde. An diesem Punkt setzten Martina Parenti und Massimo D'Anolfi mit ihrer Dokumentation an: Mittels drei thematischen Teilen geben sie uns verschiedene Perspektiven auf die Kriegsfilmerei und -fotografie. Die Dokumentation beginnt mit Aufnahmen in einem italienischen Filmarchiv, wo Archivare in weissen Roben und mit medizinischen Handschuhen historisches Filmmaterial und Fotografien sichten. Wir sehen Bilder des Italienisch-Türkischen Krieges von 1911 und 1912, in dem italienische Streitkräfte weite Teile Nordlibyens eroberten. Die Aufnahmen der in der Wüste voranpirschenden italienischen Truppen wirken sehr inszeniert. Dem gegenüber stehen Bilder, in denen italienische Soldaten in den Trümmern eines eroberten Stadtteils herumschreiten, einige drehen sich zur Kamera um. Hier wird deutlich, dass keine Anweisungen gegeben wurden.
 
D'Anolfi und Parenti zeigen die ersten Filmsequenzen ohne Erklärung, erst etwas später kommt ein Kommentar über die Tonspur hinzu, in dem zuerst ein Gespräch zum heutigen Libyenkonflikt und die Kriegsparteien zu hören ist, dann die Kommentare der Archivare zum historischen Material. Im zweiten Teil sehen wir den Mitarbeitern des Krisenzentrums des italienischen Aussendepartements bei der Arbeit zu. Sie müssen italienischen Staatsangehörigen helfen, die sich in eskalierenden Krisensituationen in Syrien oder Somalia aufhalten. Hier bilden fragmentarische Handyaufnahmen aus den Sozialen Medien den Blickwinkel auf die Krisenherde. Oft gibt es aber auch gar keine Bilder zu den Situationen, mit denen sich die Beamten befassen müssen. Sie verbringen einen grossen Teil ihrer Arbeit mit telefonieren. Die Kriegsschauplätze an sich bleiben weitgehend imaginär. Der dritte und längste Teil zeigt die Ausbildung von Kriegsreportern der französische Fremdenlegion. Den jungen Soldatinnen und Soldaten wird bewusst ein propagandistischer Fokus auf die Kriegsfotografie und Kriegsfilmerei beigebracht, sollen sie doch die Tätigkeiten der Légion étrangère in ihren Aufnahmen legitimieren. Auch sie arbeiten wie die Archivare des italienischen Filmarchivs mit historischem Material, nehmen aber eine voreingenommenere, politischere Perspektive dazu ein. Dennoch gehört die kritische Reflektion der Aufnahmen durchaus auch zum Curriculum ihrer Ausbildung. Als Kontrast dazu wird die Ausbildung einer Einheit von Elitesoldaten der Legion gezeigt. Hier liegt der Fokus auf Abhärtung und physischer Fitness. Beim Sichten von Bildern geht es in der Regel nur darum, anhand bestimmter Merkmale Panzer oder anderes Kriegsmaterial voneinander zu unterscheiden.
 
Martina Parenti und Massimo D'Anolfi gelingt es – trotz der sehr assoziativen Umsetzung des Themas mit drei verschiedenen Schwerpunktsetzungen – mit ihrer Dokumentation in den Kern des Wesens von Kriegsfotografie und dokumentarischen Kriegsfilmen vorzudringen: Die visuellen Dokumente aus Konfliktregionen sind oft mehr als nur Zeitdokumente für die Geschichtsbücher, sie sollen die aktuelle aber auch historische Sichtweise auf einen Konflikt bewusst mitgestalten. Der Epilog des Filmes gibt den Augenzeugen von Kriegen, die meisten von ihnen Kriegstraumatisierte, eine Stimme. Die Entmenschlichung durch den Krieg wird hier noch einmal unmittelbar deutlich.
 
Simon Meier
*1986 in Zürich. Studium der Ethnologie, Filmwissenschaft und Kunstgeschichte an der Universität Zürich. Arbeitet als Redaktor am Newsdesk des Tages-Anzeigers. Von 2011 bis 2021 war er Mitglied der CINEMA Redaktion. simonangelomeier.ch
(Stand: 2024)
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