«Siehst du da den Hügel», meint Milo Rau zu seinem Protagonisten Yvan Sagnet, «dort haben schon Pasolini und Mel Gibson das Kreuz für ihren Jesus platziert. Die Löcher im Boden sind noch da. Man kann das Kreuz einfach reinstecken.» Und lässt dann den Blick über das süditalienische Städtchen Matera schweifen, das auch topografisch dem antiken Jerusalem mit seiner Via Dolorosa so nahe kommt. «Schlicht der perfekte Ort für einen Passionsfilm», stimmt ihm Sagnet zu.
Matera, 2019 Kulturhauptstadt Europas, lud Milo Rau zu einer Inszenierung. Der renommierte Berner Regisseur und Autor entschied sich flugs für eine Neuverfilmung der Passionsgeschichte, daher auch der Titel: Das neue Evangelium. Wie in seinen bisherigen Werken arbeitet Rau vorzugsweise mit Laiendarsteller_innen, er verknüpft politische Reportage mit Inszenierung und aktuelles Geschehen mit Kapitalismuskritik. Zudem mäandert die metafilmische Ebene durchs Geschehen: etwa wenn Rau als Inszenator immer wieder Teil des Films ist oder er das Casting unter den Materaner_innen für den Film einfliessen lässt.
Es treten aber auch erprobte Darsteller_innen auf: aus Pasolinis Film etwa der jüngst verstorbene Enrique Irazoqui (der darin den Jesus spielte) oder Maia Morgenstern, bereits als Gottesmutter in Gibsons The Passion of the Christ (US 2004), oder der mit Marcello Fonte (Dogman, Pinocchio) so trefflich besetzte Pontius Pilatus. Als Jesus wählte Rau den aus Kamerun stammenden Aktivisten Yvan Sagnet, der für ein Ingenieurstudium nach Italien kam, um nach einer verpatzten Prüfung selbst als Tomatenpflücker zu arbeiten und wenig später 2011 den ersten Streik von Landarbeitern mit Migrationshintergrund gegen das ‹caporalato› (die mafiöse Ausbeutung in der Landwirtschaft) zu organisieren. Tatsächlich hausen unweit des pittoresken Städtchens Tausende Flüchtlinge aus Schwarzafrika in mehr als prekären Unterkünften, um zu Minimallöhnen in der Tomaten- oder Orangenernte zu arbeiten, während die Frauen sich oft prostituieren. Rau machte sie in seinem Film zu Aposteln oder Anhängerinnen Christi, die gleichzeitig für ihre Rechte in der Realität kämpfen – während die Materaner als Einwohner_innen Jerusalems den Tod des schwarzen Jesus fordern.
Das neue Evangelium wird durch diese Verknüpfung zu einem augenöffnenden Pamphlet für die Rechte der Menschen und gibt der christlichen Botschaft einen ungeahnt politischen Dreh. Die für den Schnitt verantwortliche Katja Dringenberg kombiniert meisterhaft die Narrative, verbindet heilige Geschichte und Revolte, Fiktion mit Dokumentation. Eine grossartige Kamera (Thomas Eirich-Schneider) komponiert eindringliche Bilder von Landschaften und Gesichtern und macht so aus Milo Raus Neuem Evangelium eine ebenso berührende wie hochaktuelle Passionsgeschichte.
Matera, 2019 Kulturhauptstadt Europas, lud Milo Rau zu einer Inszenierung. Der renommierte Berner Regisseur und Autor entschied sich flugs für eine Neuverfilmung der Passionsgeschichte, daher auch der Titel: Das neue Evangelium. Wie in seinen bisherigen Werken arbeitet Rau vorzugsweise mit Laiendarsteller_innen, er verknüpft politische Reportage mit Inszenierung und aktuelles Geschehen mit Kapitalismuskritik. Zudem mäandert die metafilmische Ebene durchs Geschehen: etwa wenn Rau als Inszenator immer wieder Teil des Films ist oder er das Casting unter den Materaner_innen für den Film einfliessen lässt.
Es treten aber auch erprobte Darsteller_innen auf: aus Pasolinis Film etwa der jüngst verstorbene Enrique Irazoqui (der darin den Jesus spielte) oder Maia Morgenstern, bereits als Gottesmutter in Gibsons The Passion of the Christ (US 2004), oder der mit Marcello Fonte (Dogman, Pinocchio) so trefflich besetzte Pontius Pilatus. Als Jesus wählte Rau den aus Kamerun stammenden Aktivisten Yvan Sagnet, der für ein Ingenieurstudium nach Italien kam, um nach einer verpatzten Prüfung selbst als Tomatenpflücker zu arbeiten und wenig später 2011 den ersten Streik von Landarbeitern mit Migrationshintergrund gegen das ‹caporalato› (die mafiöse Ausbeutung in der Landwirtschaft) zu organisieren. Tatsächlich hausen unweit des pittoresken Städtchens Tausende Flüchtlinge aus Schwarzafrika in mehr als prekären Unterkünften, um zu Minimallöhnen in der Tomaten- oder Orangenernte zu arbeiten, während die Frauen sich oft prostituieren. Rau machte sie in seinem Film zu Aposteln oder Anhängerinnen Christi, die gleichzeitig für ihre Rechte in der Realität kämpfen – während die Materaner als Einwohner_innen Jerusalems den Tod des schwarzen Jesus fordern.
Das neue Evangelium wird durch diese Verknüpfung zu einem augenöffnenden Pamphlet für die Rechte der Menschen und gibt der christlichen Botschaft einen ungeahnt politischen Dreh. Die für den Schnitt verantwortliche Katja Dringenberg kombiniert meisterhaft die Narrative, verbindet heilige Geschichte und Revolte, Fiktion mit Dokumentation. Eine grossartige Kamera (Thomas Eirich-Schneider) komponiert eindringliche Bilder von Landschaften und Gesichtern und macht so aus Milo Raus Neuem Evangelium eine ebenso berührende wie hochaktuelle Passionsgeschichte.