DORIS SENN

SEKURITAS (CARMEN STADLER)

«Es Huus isch mee as es Huus», ertönt es aus dem Off. Und das Haus in Carmen Stadlers Spielfilm Sekuritas ist in der Tat mehr als ein Haus und vielmehr dessen insgeheime Protagonistin. «Das Haus hat mich gefunden, nicht umgekehrt», sagt die Filmemacherin. Dabei handelt es sich um das ehemalige Revox-Haus in Regensdorf nahe Zürich, das mit Jahrgang 1977 gleich alt ist wie die Regisseurin und demnächst abgebrochen werden soll. Ein nunmehr verlassener Bürokomplex mit illustrer Geschichte, dem Sekuritas Hommage erweist und den der Film zu neuem Leben erweckt, um gleichzeitig dessen ‹letzten Wunsch› zu erfüllen: eine Liebesgeschichte zu erleben.
 
Die Kamera (Anina Gmür) lotet bedächtig das Gebäude aus, gleitet durch die Korridore, die Büros, die Hallen, die Maschinenräume und lässt das Haus so ein Eigenleben entfalten, in dem in magischer Choreografie Lampen wie von selbst Lichtkegel im Dunkel setzen, Rauchfahnen das Bild durchziehen und Geräusche die Erzählung rhythmisieren (Sounddesign: Gina Keller): Es piepst, knackt und knistert, es quietscht, dröhnt und brummt – manchmal ertönt Musik. Man meint zu hören, wie das Haus atmet, aus seiner Vergangenheit erzählt und mit seinen nächtlichen Besucher_innen zu interagieren sucht. Das sind eine Securitas-Wachfrau, ein Putzmann mit irakischen Wurzeln, eine Sekretärin mit Liebeskummer, der ehemalige Direktor, der seine Abschiedsrede probt, der Koch... Es kommt zu Begegnungen, zu Gesprächen. Dabei geht es um Sehnsucht und Einsamkeit, um Träume und Angst, aber auch um Anziehung, Freundschaft und Vertrauen – und um eine Liebesgeschichte. Oder besser ‹zweieinhalb›, wie die Regisseurin präzisiert.
 
In ihrem ebenso poetischen wie eigenwilligen Langfilmdebüt verwandelt Carmen Stadler den baulichen Komplex in eine atmosphärische Bühne für eine ‹comédie humaine›. Ein Mikrokosmos, in dem die Menschen einen Sinn in ihrem Dasein und ihrem Alltag suchen, ihren Erinnerungen zu entfliehen versuchen. Durch das Labyrinth der Räumlichkeiten führt uns Kathrin Veith als Wachfrau, die mit Sekuritas einen grossartigen Einstand auf der Filmleinwand gibt. Forsch und pflichtbewusst, aber auch einfühlsam und neugierig führt sie uns nächtens durch das geheimnisvolle Gebäude. Sie ist auch die zentrale Figur, um die herum sich die Geschichten der anderen Figuren, deren Wege sie kreuzt, kristallisieren. Und sie wird schliesslich auch den letzten Wunsch des Hauses erfüllen und den Absprung in ein verheissungsvolles neues Leben wagen.
Doris Senn
Freie Filmjournalistin SVFJ, lebt in Zürich.
(Stand: 2021)
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