ANDREAS TALANOW

JAGDZEIT (SABINE BOSS)

Der fiktive Automobilzulieferer Walser steht durch den Diesel-Skandal am Abgrund und versucht durch Entlassungen und mit einem neuen Geschäftsführer die Kehrtwende. Für Finanzchef Alexander Maier (Stefan Kurt) kommt dies alles erschwerend zu seinem gebeutelten Privatleben hinzu, das unter seinem Job leidet. Es gelingt Maier zunächst, sich mit dem neuen Boss, Hans-Werner Brockmann (Ulrich Tukur), zu arrangieren, doch ein Werksbrand setzt den aufkeimenden Hoffnungen ein Ende und bringt die Firma in eine akute Notlage. Maier kann zwar wieder einmal neues Geld beschaffen und den Chef ausserdem für die Förderung einer hauseigenen Innovation begeistern. Aber der Schein trügt: Brockmann hat falsch gespielt und seine Mitarbeiter mit scheinbarem Wohlwollen bloss ruhiggestellt, um seinen eigentlichen Coup, den Börsengang, vorzubereiten – ein interner Machtkampf um Glaubwürdigkeit, Verantwortung und die Gunst der Firmeninhaber entsteht, eskaliert und endet in einer vermeidbaren menschlichen Tragödie, dem Selbstmord von Alexander Maier.
 
Sabine Boss legt nach zuletzt zwei Arbeiten für das Fernsehen (Tatort: Freitod, CH 2016, (Hotel Heidelberg: Tag für Tag, DE 2016) mit Jagdzeit einen Wirtschaftsthriller mit kapitalismuskritischer Moral für das Kino vor: Nachhaltigkeit und Menschlichkeit, so klagt der Film an, werden vom Streben nach kurzfristigem Wachstum aufgefressen; Mitarbeiter mit ehrlichen Absichten haben das Nachsehen, und letztlich erscheinen auch jene Akteure als Opfer, die für diese unheilvolle Entwicklung verantwortlich sind. Realer Ausgangspunkt von Jagdzeit sind die national bekanntgewordenen Suizide prominenter Manager in den letzten Jahren.
 
Optisch stringent in kühlen und streng komponierten Bildern gestaltet, vermittelt der Film eindringlich den hohen Druck, der in einem gewinnorientierten Unternehmen heute auf den Menschen lasten kann, und stellt dabei an einigen Stellen den Bezug her zu gegenwärtigen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Herausforderungen. Dabei vermag es insbesondere Ulrich Tukurs hervorragendes Schauspiel, seinen kalten Machtmenschen beängstigend spürbar zu machen. Viele der restlichen Figuren, streckenweise leider auch die Hauptfigur, heben sich jedoch nicht genug von den gängigen Stereotypen ab, um greifbar zu werden. So fällt es schwer, Maiers zunehmend ausgestellte Verzweiflung auch emotional mitzuerleben und von seinem Suizid und den Umständen betroffen zu sein. Der Film bedient sich einiger Klischees, etwa jenem der ‹schönen neuen, digitalen Welt›, die in Jagdzeit eher einer Persiflage von filmischen Zukunftsvisionen der 1980er-Jahre gleicht. Die Moral des Films erscheint letztlich als recht simpel und einseitig.
Andreas Talanow
*1984, Masterstudium der Kulturanalyse und Filmwissenschaft an der Universität Zürich, berufliche Stationen in akademischer Stabsarbeit, im Medien- und Kulturschaffen; lebt und arbeitet in Zürich.
(Stand: 2020)
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