DORIS SENN

RED ANTS BITE (ELENE NAVERIANI)

Wie beiläufig erzählt Elene Naveriani ihre fragmentarischen Geschichten – viele davon für die Rechte von LGBTQ, oft verknüpft mit einem Engagement für Migrant_innen oder andere Menschen am Rand der Gesellschaft: etwa in Father Bless Us (2013) über ein Lesbenpaar, Les évangiles d'Anasyrma. (2014) über den Mord an einer Transsexuellen oder I Am Truly a Drop of Sun on Earth. (2017) über die Beziehung zwischen einem nigerianischen Flüchtling und einer Prostituierten. Alle ihre Kurzfilme spielen in Georgien, der Heimat der 35-jährigen Regisseurin. So auch ihr jüngstes Werk Red Ants Bite.
 
Der 23-minütige Film handelt von zwei Nigerianern, Obinna und Afame, die in Georgien gestrandet sind und ohne Ziel durch Tiflis streifen. Fremde in einem fremden Land. Afame hat eine kleine Tochter zusammen mit einer Georgierin, Ana, die sich prostituiert. Obinna will «nie heiraten», wie er sagt. Viel mehr wissen wir nicht über die beiden. Sie trollen durch die Strassen, schauen über den Fluss, gehen querfeldein. Es wird nicht viel gesprochen: Die Kamera weidet sich an ihren Gesichtern, nimmt Afames Blick auf, der Obinnas nackten Körper anschaut, als dieser in den Kura taucht – um ihn dann vor den Roten Ameisen zu warnen, die über seinen Bauch krabbeln. Schweigendes Einverständnis herrscht zwischen den beiden, Zärtlichkeit auch – ohne dass es explizit in Worte oder Tun gefasst würde. Und dann doch Folgen zeitigt – als Ana die beiden im Morgengrauen schlafend entdeckt, während Obinnas Hand sanft auf Afames Arm liegt...
 
Elene Naveriani, die an der HEAD in Genf studiert hat und das Drehbuch für den Film zusammen mit den beiden Hauptdarstellern, George Imo Obasi und Donald Acho Nwokorie, geschrieben hat, widmet Red Ants Bite. all jenen, die «fern ihrer Heimat ihre letzte Ruhestätte fanden». Das stille Drama der Migration ebenso wie einer der Gründe dafür – verfemte Homosexualität – finden in Red Ants Bite. eine einfühlsame Umsetzung. Der fatale Zwiespalt einer Gesellschaft zwischen Moderne und Tradition, wie er zurzeit viele Oststaaten und so auch Georgien prägt, mündet nicht zuletzt in eine ausgesprochen repressive Politik gegenüber LGBTQ: Die Macht der orthodoxen Kirche ist gross, und die Bevölkerung sucht einen ‹Sündenbock› für ihre Unzufriedenheit und den Wandel der Zeit. Die 35-jährige Regisseurin zeigt dies ebenso subtil wie eindrücklich in ihren kleinen Œuvres.
Doris Senn
Freie Filmjournalistin SVFJ, lebt in Zürich.
(Stand: 2021)
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