SIMON MEIER

CRU (DAVID OESCH)

Man sieht das hektische Ballett einer Spitzenküche. Unter zeitlichem Höchstdruck müssen perfekte Gerichte entstehen. Die Jungköchin Jeanne will es besonders perfekt machen. Immer wieder positioniert sie kleine Stücke von Schnittlauch auf Rüstbrettern und angerichteten Tellern neu, damit sie tadellos präsentiert daliegen. Die Umgangsformen zwischen den Köchen sind dagegen äusserst rau: Es wird rumgeschrien, gestossen und gezankt. Nicht weniger als der Fortbestand der Welt scheint auf dem Spiel zu stehen. Inmitten des hektischen Treibens steht die unnahbare, arrogante Chefin des Restaurants wie ein Dompteurin. Sie gibt sich nur mit den tadellosesten Gerichten zufrieden. Alles Mittelmässige wird weggeworfen. Als sich die Jungköchin in der Hektik in die Hand schneidet, wird das eingespielte Ballett unterbrochen. Einigen Tropfen Blut landen in einer angerichteten Suppe, mit ungeahnten Folgen...
 
David Oesch hat mit seinem Kurzfilm Cru, der im Rahmen seiner Abschlussarbeit im Bachelor Studiengang Film der ZhdK entstand, eine erstaunliche Auswertung durchlaufen: Der Film gewann den Tribeca Student Visionary Award des Tribeca Film Festivals und wurde als einziger Schweizer Beitrag beim Online-Festival «We Are One», das in Zusammenarbeit verschiedener internationaler Partnerfestivals wie Cannes, Locarno, Toronto und Tribeca als Reaktion auf die wegen der Corona-Krise abgesagten Festivals initiert wurde, gezeigt.
 
Oeschs Inszenierung überzeugt gerade wegen seiner übertriebenen, teilweise komödiantisch wirkenden Zuspitzung der Vorgänge in der Gourmet-Küche und im Speisesaal und dem geschickten gegenüberstellen von Gegensätzen: Die Köche schreien der Restaurant-Inhaberin wiederholt «Oui, chef!» zu, als diese sie wie eine Fussballtrainerin antreibt, der Küchenchef kann nur mittels Kokain seine Leistung erbringen. Dem gegenüber stellt Oesch die fast schon kirchliche Ruhe im Speisesaal und die vorwiegend ältere Kundschaft in zum Teil ausgefallener Abendgeraderobe, die sich den teuren Speisen hingibt. Hier existieren gleich nebeneinander zwei Welten, die erst durch Jeannes Missgeschick für eine kurze Zeit aufeinanderprallen.
Simon Meier
*1986, Studium der Kunstgeschichte, Filmwissenschaft und Ethnologie an der Universität Zürich. Längere Sprach- und Forschungsaufenthalte in Louisiana und Neuseeland. Arbeitet als Bildredaktor bei Keystone-SDA. Seit 2011 Mitglied der CINEMA-Redaktion. www.palimpsest.ch
(Stand: 2021)
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