NOEMI DAUGAARD

ANCHE STANOTTE LE MUCCHE DANZERANNO SUL TETTO (ALDO GUGOLZ)

Am 10. Mai 2017 wird im Valle di Vergeletto im Tessin der leblose Körper des mazedonischen Hilfsarbeiters Nikola gefunden, der zehn Monate zuvor spurlos verschwunden war. Vor seinem Verschwinden arbeitete er schwarz auf der Alpe d’Arena im Käsereibetrieb von Fabiano.
 
In Aldo Gugolzs Dokumentarfilm Anche stanotte le mucche danzeranno sul tetto) (Kühe auf dem Dach) bildet der Tod des Gastarbeiters Nikola den Hintergrund der eigentlichen Geschichte. Zwar prägt der tragische Todesfall den gesamten Film, jedoch geht es dem Film vielmehr darum, eine Realität abseits des Gewöhnlichen zu dokumentieren: die der Bergbauern in den Tessiner Alpen, die sich zwischen verschiedenen Welten hin und her bewegen und kontinuierlich ausloten müssen, inwiefern ihre Lebensweise in der heutigen Welt noch einen Platz finden kann.
 
Fernab der Zivilisation versucht der 38-jährige Fabiano, zusammen mit seiner schwangeren Partnerin Eva und mit der Unterstützung mehrerer Hilfsarbeiter, seinen Käsereibetrieb rentabel zu machen. Der Betrieb wurde in den 1970er-Jahren von seinen Deutschschweizer Hippie-Eltern gegründet, die in den Tessiner Bergen ihre Aussteigerträume verwirklichten. Das Unterfangen gestaltet sich jedoch als schwierig, Fabiano ist verschuldet, sein Ruf getrübt vom mysteriösen Tod Nikolas und den Vorurteilen ihm und seinen Eltern gegenüber und er selbst kämpft mit Schuldgefühlen und Albträumen, in denen Kühe auf seinem Dach tanzen.
 
Nach Rue de Blamage (2017) interessiert sich Aldo Gugolz auch in seinen neusten Film für eine kleine, in sich geschlossene Welt und für Menschen, die nur selten im Mittelpunkt stehen. Doch anstatt im Herzen von Luzern befinden wir uns in einem abgelegenen Tessiner Tal, von Gugolz und seiner Kamerafrau Susanne Schüle in atmosphärischen Bildern in Szene gesetzt. Strukturiert durch die routinierten Arbeitsabläufe auf der Alp und geprägt von den Klängen und Farben der Berge, erzählt der Film von einem Mikrokosmos, in dem Menschen versuchen, abseits des Systems zu leben, aber dabei immer wieder an ihre Grenzen stossen. Das Resultat ist ein ruhiger und geduldiger Film mit bedrückender Stimmung, der auf sehr behutsame Art das Leben auf der Alpe d’Arena dokumentiert. Dabei werden auch komplexe Themen wie die Armut der Schweizer Bergbauern, die Konflikte zwischen Aussteigern und System sowie das in der Region weit verbreitete Alkoholproblem nicht ausser Acht gelassen.
 
Der Film feierte seine Weltpremiere im Rahmen der diesjährigen Online-Version des Filmfestivals Visions du réel, wo er im Nationalen Wettbewerb antrat.
Noemi Daugaard
*1990, studierte in Zürich Filmwissenschaft, Anglistik und Kunstgeschichte. Sie ist Doktorandin am Seminar für Filmwissenschaft der Universität Zürich und arbeitet in der Forschungsförderung.
(Stand: 2021)
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