In seinem neuen, beinahe zwei Stunden langen Spielfilm Emma – Il colore nascosto delle cose lässt sich Silvio Soldini Zeit, um die psychologische Entwicklung der Figuren mit präzisen Zeichnungen behutsam aufzuzeigen und zu entfalten. Dabei wagt der italienisch-schweizerische Filmautor mehr in die Tiefe zu gehen als in seinem grossen Erfolg Pane e tulipani (2000), und auch feine Zwischentöne sicht- und spürbarer zu machen. Il colore nascosto delle cose hiess der Film im italienischsprachigen Original ursprünglich – also in etwa: Die verborgenen Farben der Dinge. Später wurde der Filmtitel mit dem Namen der weiblichen Hauptfigur ergänzt, was keine besonders geschickte Entscheidung war, gibt es doch (zu) viele Filme mit dem Titel Emma, darunter nicht zuletzt die bekannten Verfilmungen des gleichnamigen Jane Austen-Romans.
Die Emma in Soldinis Film, einfühlsam und souverän gespielt von der schönen Valeria Golino, ist eine selbstbewusste blinde Frau. Der attraktive Werbefachmann Teo (Adriano Giannini), ein Mittvierziger, der Frauen weitgehend benutzt, um sein männliches Ego aufzupolieren, ist bei der ersten Begegnung von der Herausforderung fasziniert, mit ihr eine Affäre zu beginnen – um zu wissen, wie es ist, mit einer Blinden zu schlafen. Doch der sich innerlich stets von zu viel Bindungswärme und Nähe distanzierende Mann, der seine Wohnung und seinen Staubsaugerroboter liebt – solche und andere ironische Momente sind in diesem eher ernst-melancholischen Film, stimmig platzierte Aufhellungen und gar auch Pointen –, wird von seinen Liebesgefühlen für Emma überwältigt. Natürlich ist das Grund für den zunehmend demontierten Mann, einmal mehr mutwillig die Flucht zu ergreifen. Aber diesmal scheint ihm dies nicht zu gelingen. Und so lernt der visuell ausgerichtete Werber durch die blinde Ostheopatin – die Berufe sind hier in deutlicher Weise sinnbildlich für zwei sich geradezu diametral entgegenstehende Einstellungen und Wahrnehmungsmodi im Leben – das wirkliche Sehen.
Teo lässt sich von Emma in eine für ihn neue Welt entführen, eine Welt jenseits des Sehsinns, der grundsätzlich immer eine gewisse Distanz zum betrachteten Gegenstand voraussetzt – eine Welt, die wiederum im Medium Film nicht einfach vermittelbar ist, aber hier durch einen ruhigen Erzählrhythmus suggestiver Bilder und eine sorgfältig edierte Tonspur (François Musy und andere) erfahrbar wird. Dass die Blindheit der Frau und die damit verbundenen Bewegungs- und Funktionsweisen im Alltag glaubhaft inszeniert wird, ist sicher Soldinis eingehender Auseinandersetzung mit den Lebensbedingungen von Blinden, welche 2013 in seinem Dokumentarfilm Per altri occhi resultierten, zu verdanken.