Der Dokumentarfilmer Olmo Cerri bestätigt noch einmal, dass die Geschichte der italienischen Migration in der Schweiz ein ausserordentliches Reservoir für filmische Erzählungen darstellt. Spätestens ab dem Ende der 50er-Jahre fing Kurt Früh an, die Italiener/-innen im Film darzustellen. Alexander Seiler läutete in Zusammenarbeit mit June Kovach und Rob Gnant ein paar Jahre später das Zeitalter des Neuen Schweizer Films ein, indem er das Leben der Gastarbeiter und ihrer Familien in Siamo italiani (1964) porträtierte. Von diesem Moment an wurde die italienische Migration ein Lieblingsthema vieler Schweizer Filmautoren/-innen.
Die Italophobie eines Teils des Schweizer Bevölkerung während des vorgehenden Jahrhunderts scheint heute nur noch ein verblasstes Bild der Vergangenheit. Viele Menschen, die diese Zeit erlebten, sind aber noch da und einige von ihnen tragen innerliche Narben. Non ho l’età spricht von diesen Narben. Der Film gibt uns nicht den Nachklang der grossen Kämpfe, der organisierten Migration im Zeitalter Schwarzenbachs zurück, sondern er erzählt Episoden des alltäglichen Widerstandes gegen die Xenophobie, die Ausgrenzung und die Angst vor einer erzwungenen Rückkehr in die Heimat.
1964 gewann die minderjährige Gigliola Cinquetti das Sanremo-Festival mit dem Lied Non ho l’età, das sie über Nacht berühmt machte. Gigliola Cinquetti, je nach Perspektive moralisches Vorbild oder sublimiertes erotisches Objekt für ihre Bewunderer, erhielt im Laufe der Jahre fast hundertfünfzigtausend Briefe, die das Historische Museum des Trentino seit 2001 aufbewahrt. Hunderte dieser Briefe kamen aus der Schweiz: Die meisten von ihnen wurden ihr von Migrantinnen geschickt, die über ihre Einsamkeit und Angst sprachen oder ihre Wünsche und Pläne für die Zukunft ankündigten. Drei dieser Frauen sowie ein Priester sind die Protagonisten dieses Films.
Stilistische Elemente werden in diesem von einer Studie inspirierten Dokumentarfilm zurückhaltend eingesetzt. Der Wunsch, zu erzählen, ist wichtiger als die filmische Ästhetik. Die einfache Ausdruckweise korrespondiert dabei aber sehr gut mit den Geschichten der Figuren und ihrem volkstümlichen Charakter. Die Arbeit Cerris mit Archivmaterial ist nennenswert, insbesondere die Wiederverwendung der berühmten Szenen des Films Siamo italiani, in der eine erhebliche Zahl von Migranten bei den demütigenden ärztlichen Untersuchungen am Grenzbahnhof von Chiasso dargestellt werden. Diese Sequenzen bilden eine Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen der Geschichte und ihren Konsequenzen. Das visuelle Zitat verbindet aber auch den Film selbst mit der antirassistischen Tradition des nouveau cinéma suisse.