JOSEPHINE DIECKE

«THERE’S COLOUR … AND COLOUR» — FARBFILME AUS WOLFEN IM QUALITÄTSWETTSTREIT

ESSAY

Eine Werbeanzeige der Firma AGFA Limited von 1954 verkündet in ihrer fett gedruckten Überschrift verheissungsvoll: «There’s Colour . . . and COLOUR».1 Hinter dieser Aussage verbirgt sich ein Versprechen, das – laut Hersteller – von ihrer beworbenen Palette an ‹Agfacolor›-Produkten eingelöst wird. Mithilfe einer Vielfalt an farbigen Aufnahme- und Wiedergabeformaten von fotografischen und bewegten Bildern werden die potenziellen Bedürfnisse und Ansprüche verschiedener Zielgruppen adressiert:

The world over, the name Agfacolor stands for fine colour photography. Even inexperienced amateurs get delightful results with this famous negative-positive film—largely because of its ample exposure latitude. For the professional, however, «delightful results» are not enough. His more critical colour appreciation, more precise colour needs, demand absolute maximum effect from Agfacolor.2

Abgesehen davon, dass hier gezielt zwischen verschiedenen Produkten für Amateure und professionelle Nutzer unterschieden wird, wird der/die Leser/-in mit Informationen konfrontiert, die im allgemeinen Sprachgebrauch auch als ‹Qualitäten› bezeichnet werden können. Was aber verbirgt sich beispielsweise hinter den angesprochenen «delightful results»? Wie haben sich die Hersteller der Agfacolor-Materialien dafür eingesetzt, dass ihre Produkte einen gewissen Standard erreichen und halten konnten und welchen Beitrag hatten daran internationale politische und wirtschaftliche Beziehungen?

In der (Post-)Produktion von Filmen und Filmmaterialien spielen Qualitätsbeurteilungen eine wichtige Rolle. Gerade die Einhaltung von bestimmten Qualitätsmerkmalen, die eng an zeitgenössische Geschmacksvorstellungen gekoppelt sind, ist unabdingbar für das erfolgreiche Schaffen von filmischen Erzeugnissen, sowohl im professionellen als auch im Amateurfilmbereich. Aufgrund der Tatsache, dass derartigen ästhetischen, organisatorischen oder technischen Merkmalen eine enorme Wichtigkeit zukommt, jedoch nur wenig wissenschaftlicher Diskurs darüber stattfindet, widmet sich dieser Aufsatz genau diesem Thema. Nach dem Vorbild der Technikgeschichtsforschung und der Production Studies ist es möglich, die ‹Black Box›-Filmindustrie aufzubrechen, um den vermeintlich transparenten und neutralen Prozess der Qualitätsbeurteilung und dessen Rolle für den Erfolg eines filmischen Erzeugnisses zu beleuchten.

Eine besondere Position nimmt in der Filmgeschichte die Herstellung von Farbfilmen ein. Seit der Erfindung des bewegten Bildes wurde versucht, farbige Bilder auf die Leinwand zu übertragen. Spätestens die Einführung des modernen subtraktiven Mehrschichtenfarbfilms (auch chromogener Farbfilm genannt) Mitte der 1930er-Jahre hat eine erneute Debatte über die Beurteilung analoger Filmerzeugnisse zu Tage gefördert. Im Zentrum dieses Aufsatzes stehen die chromogenen Farbfilmmaterialien Agfacolor und Orwocolor der Filmfabrik Wolfen, die von 1909 bis 1964 unter dem Namen AGFA und von 1964 bis 1994 unter dem Namen ORWO produziert wurden. Mit welchen Qualitätsansprüchen sahen sich aber die Farbfilme aus der Wolfener Produktion in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts im internationalen Vergleich konfrontiert?

Die Qualität(en) von Farben

Als eine Qualität wird im Allgemeinen die «Gesamtheit der charakteristischen Eigenschaften» verstanden.3 Dies ist zunächst also eine wertneutrale Beschreibungsmöglichkeit. Zu Verwirrungen kann es hingegen kommen, wenn der Begriff synonym für eine vorteilhafte oder abwertende Beurteilung herangezogen wird. In diesem Fall bezieht sich diese Einschätzung auf eine bestimmte Eigenschaft oder eine Gruppierung dergleichen mit Priorisierungen. Dabei erörtert die bewertende Instanz allerdings nicht unbedingt ausführlich die eigentliche Eigenschaft, auf die sie rekurriert. Stattdessen verläuft der Diskurs zur Qualität einer Person oder einer Sache oftmals in pauschalisierten Äusserungen, die auf einer Skala zwischen Annahme und Ablehnung einer ‹Qualität› mäandern kann. In die Beurteilung von Qualität fliessen folglich verschiedene Grössen der In- und Umwelt einer Person mit ein. Die subjektiven Faktoren gehen zumeist aber auch auf normierte Qualitätsvorstellungen zurück, die gesellschaftlich geprägt werden.

Hier existiert eine interessante Parallele zur Wahrnehmung von Farbe. Auch sie ist davon abhängig, wie der/die einzelne Betrachter/-in individuell darauf reagiert. Spätestens seit den im 18. und 19. Jahrhundert von bekannten Wissenschaftlern und Künstlern wie Isaac Newton, Johann Wolfgang von Goethe und insbesondere Thomas Young publizierten Auseinandersetzungen mit der Natur der Farben und deren Anordnung in Modellen wurde die Farbforschung um unterschiedliche Perspektiven erweitert.4 Aus den diversen Ansätzen geht hervor, dass sich Farben nicht nur als physikalische, psychologische oder philosophische Phänomene begreifen lassen, sondern als ein Zusammenspiel aus all jenen Elementen. Die Neurowissenschaftlerin Anya Hurlbert fasst die neuesten Forschungsansätze dazu folgendermassen zusammen:

In the contemporary perceptual realist view, color is neither a primary nor a secondary quality. On the one hand, it is the quintessential quale, a subjective experience inaccessible to an external observer, but on the other hand, it is tightly linked to physical properties. Secondary qualities are by definition not measurable. But color is, in essence, itself a measurement. Color is a reading of the outside world, taken under biological and environmental constraints, and experienced as a meaningful property in the perceiver’s internal world. It is a perceptual quality. And […] perceptual qualities are governed by internally consistent relationships, which may themselves be related to external physical relationships. The huge discipline of color science is the physical science of measuring color, itself a perceptual measurement.5

Farbe wird in diesem Sinne als eine Qualität bezeichnet, die einerseits als unmessbare, innere individuelle Erfahrung auftritt und andererseits selbst als Messwert für die Aussenwelt fungiert. Die Verarbeitung von Farbeindrücken durchläuft stets verschiedene Stufen. Vom reflektierenden oder transmittierenden Licht einer Oberfläche mit bestimmten spektralen Eigenschaften bis hin zur sprachlichen Äusserung, wirken unterschiedliche Filter, die unter anderem physiologischer, aber auch sozialer und kultureller Natur sein können. Eine Grundvoraussetzung für das Farbensehen ist das Vorhandensein von Licht. Im Falle der chromogenen Farbfilmtechnologie entsteht der Farbeindruck beim Zuschauer/der Zuschauerin im Allgemeinen durch die subtraktive Filterung von Licht, das heisst durch das Zerlegen aller sichtbaren Farben in drei Grundfarben. Schon die Entstehung des farbigen Bildes im Filmnegativ erfolgt durch einen Prozess des Filterns und Aufteilens der Lichtwerte in spektrale Kurz- (Blau), Mittel- (Grün) und Langwellen (Rot). Im dunklen Raum werden aber erst die Farben des projizierten und von der Leinwand reflektierten analogen Positivbildes vom Zuschauer/der Zuschauerin wahrgenommen. Wenn also von der qualitativen Beurteilung von Farbe im Allgemeinen und vom Farbfilm im Besonderen die Rede ist, dann bezieht sich dies auf den nicht messbaren Prozess der neuronalen Übersetzung von eingehenden Farbreizen in ein individuelles Farbsehen jedes einzelnen Betrachtenden. Die genannte Verarbeitung und Beurteilung von Farbstimuli ist eine weitere ‹Black Box›, der sich Neurowissenschaftler/-innen über verschiedene Messmethoden anzunähern versuchen. Doch die Beurteilung und Besprechung von Qualitäten eines Farbfilms beginnt nicht erst auf Zuschauerebene. In den kommenden Ausführungen wird der Fokus vor allem auf den Bereich der Filmmaterialherstellung gerichtet und darauf, nach welchen Auswahlkriterien die darüber transportierten Farben beurteilt wurden. Als Fallbeispiel dient die (ost-)deutsche Filmfabrik Wolfen.

Die Filmfabrik Wolfen

Die deutsche Actien-Gesellschaft für Anilin-Fabrication (AGFA) verlagerte im Jahre 1909 ihren Industriehauptsitz nach Wolfen und baute dort in den folgenden Jahrzehnten sukzessive ihre Chemieproduktionssparten und -anlagen aus.6 In der Filmfabrik Wolfen wurden verschiedene Filmsorten für die Fotografie, aber auch technische Filme, Röntgenfilmmaterial und Kinefilm hergestellt. Nachdem die AGFA mit der Produktion von ‹Viragen› und ‹Tonungen›, ‹Ufacolor›- oder auch dem ‹Agfacolor-Linsenrasterfilm›7, bereits früh verschiedene Versuche im Bereich des Farbfilms unternommen hatte, gelang den ‹Wissenschaftlichen Forschungslaboratorien› 1936 mit dem ersten chromogenen Negativ-Positiv-Verfahren ‹Agfacolor Neu› der grosse Durchbruch. Die US-amerikanische Eastman Kodak hatte erst ein Jahr zuvor ihr revolutionäres Farbfilmmaterial ‹Kodachrome› eingeführt, das ebenfalls auf Farbaufbau in den Schichten basierte. Im Gegensatz zu Agfacolor wurde die amerikanische Erfindung nur als Umkehrfilm vertrieben und eignete sich nur bedingt für die Kinefilmproduktion.8 Bis in die 1950er-Jahre hinein beherrschte daher vor allem das amerikanische ‹Technicolor Nr. IV›-Verfahren den Kinefarbfilmmarkt. Mit dem Untergang des Nazi-Regimes und dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde das Produktionsnetzwerk der I.G. Farbenindustrie in den verschiedenen amerikanischen, britischen und sowjetischen Besatzungszonen auseinandergerissen und auch das Wissen über die Herstellung von Agfacolor wurde weltweit offengelegt.9 Die Filmfabrik selbst befand sich ab 1945 in sozialistisch geführter Hand und wurde 1954 als volkseigener Betrieb der DDR übergeben. Bis 1964 wurden jedoch sowohl in der neu gebauten Fabrik von Agfa Leverkusen in der BRD als auch in der wiedereröffneten Filmfabrik der Agfa Wolfen Farbfilme unter dem gleichen Namen Agfacolor hergestellt. Die eingangs zitierte Werbeanzeige von 1954 bewirbt tatsächlich nicht die Produkte aus ostdeutscher Herstellung, sondern die des Konkurrenten aus Leverkusen. Die Aussage «There’s Colour … and COLOUR» kann folglich auch auf die Teilung der Farbfilmproduktion im Kalten Krieg – mit Agfacolor als wichtigen Symbolträger – bezogen werden. Erst 1964 verkaufte Wolfen das Warenzeichen vollständig an Leverkusen und änderte den Namen zu ORWO – ein Akronym für Original Wolfen – und den Namen ihrer Farbfilme zu Orwocolor. Die Rezepturen der einzelnen Materialkomponenten aus Wolfen haben sich in den Jahrzehnten nach Einführung der Agfacolor-Filme nur wenig verändert. In einer Dokumentation über die Geschichte der Filmfabrik fasst Günther Gromke, ein ehemaliger Mitarbeiter für den Aussenhandel in Indien, die Eigenschaften der Wolfener Filmerzeugnisse in den 1980er-Jahren folgendermassen zusammen:

Es musste natürlich funktionieren mit dem Material. Aber das musste nicht auf die letzte Spitze das allerbeste sein. Und so haben wir verkauft, denn unser Vertreter in Bombay hat immer gesagt: «Es gibt Leute, die verkaufen Klimaanlagen, und es gibt Leute, die verkaufen dieses Windrad, was in der Stube hängt. Sicher ist eine Klimaanlage besser, es ist auch teurer, aber mit dem Windrad kommen auch sehr viele zurecht. Und wir verkaufen eben Windräder.»10

Mit diesem ungewöhnlichen Vergleich bringt er die damalige Situation auf den Punkt. Während auf globaler Ebene der Kalte Krieg die Welt politisch und gesellschaftlich zu teilen suchte, sorgten auch die Hersteller von Rohfilm für einen kulturellen und ästhetischen Wettstreit. Die Hauptvertreterin aus dem Westen war damals die US-amerikanische Eastman Kodak Company. Sie sah sich auf dem Weltmarkt mit dem grössten sozialistischen Filmhersteller aus der DDR konfrontiert. Als wichtiges Kriterium, das die beiden Hauptakteure voneinander unterschied, wird nicht nur von Günther Gromke ihre ‹Qualität› genannt.11 Doch wofür steht der Begriff in diesem Zusammenhang genau und wodurch sollen die damit assoziierten Merkmale gewährleistet werden?

Der Prozess der Qualitätsprüfung

Um die Güte eines Produkts messen zu können, gibt es unterschiedliche Herangehensweisen. Die Herleitung von Qualitätsmerkmalen geschieht allerdings nie in einem politischen oder gesellschaftlichen Vakuum, sondern wird durch Transferprozesse geprägt. Nicolas Le Guern verdeutlichte dies anhand der Unternehmensentwicklung von Kodak und bemerkte dazu:

In industrial research, and in the field of photographic research in particular, two opposite fundamental practices control the management of knowledge: secrecy and transfer of knowledge.12

Und tatsächlich offenbart das Beispiel der Filmfabrik Wolfen Abgrenzungs- ebenso wie Austauschprozesse, die die Entwicklung ihrer Farbfilmmaterialien begleitet haben.

In Wolfen widmete man sich dem Thema Qualität in so gut wie jedem Arbeitsbereich. Am offensichtlichsten wurden Debatten zur Beschaffenheit der Erzeugnisse in der ‹Technischen Kontrollorganisation› (TKO) ausgetragen. Die Abteilung war mit der Überprüfung der hergestellten Produkte und der zugehörigen Komponenten beauftragt. Die archivierten firmeninternen Berichte geben einen guten Einblick in die Beschaffenheit und Güte der Farbfilmmaterialien aus der Wolfener Produktion.13 Die Untersuchungen der ‹Wissenschaftlichen Forschungsabteilung› und der TKO basierten einerseits auf Analysen der selbst hergestellten Materialien und andererseits auf Referenzen von ausserhalb. Dementsprechend war die Beurteilung der Qualität von Beobachtung und Vergleich abhängig. In strengster Geheimhaltung wurden hinter dem sogenannten eisernen Vorhang in regelmässigen Abständen Untersuchungen durchgeführt. Die Abteilung ‹Analytik› konzentrierte sich auf die sogenannte Fremdfilmprüfung. Die Angehörigen der Abteilung reisten ins Ausland oder bekamen Testfilme von ihren Aussendienstmitarbeitern zugeschickt, die sie im Anschluss in ihren Forschungslaboren analysierten, um die verwendeten Komponenten eruieren zu können. Dem folgte ein eingehender Qualitätsvergleich zwischen den konkurrierenden Produkten und dem hauseigenen Filmmaterial. An dieser Stelle hätte man sich, zum Wohle der allgemeinen Kompatibilität der Produkte, dem geläufigsten Standard anpassen müssen. Für gewöhnlich wurde dieser Standard von Kodak bestimmt, ob bei der Entwicklung der Farbmaskierung, dem Entwicklungsprozess oder dem Farbkupplungssystem. In Wolfen sah man sich nach der Qualitätsbeurteilung von Fremdmaterialien jedoch zumeist mit einem Dilemma konfrontiert. Einerseits erkannte man die qualitative Überlegenheit von Konkurrenten wie Kodak, andererseits konnten die neuen Standards nicht so einfach in die ideologisch kontrollierte und auf längerfristige Ziele ausgelegte Planwirtschaft integriert werden. Mit jeder neuen Untersuchung fiel Wolfen mehr und mehr hinter den internationalen Standard zurück, was teilweise den stagnierenden oder schlechter werdenden Arbeitsbedingungen zuzuschreiben war. Auch der ehemalige Forschungsdirektor Prof. Dr. Herward Pietsch machte die «Randbedingungen» für das Zurückfallen hinter die Konkurrenz verantwortlich und formulierte seine indirekte Kritik an den politischen Verantwortlichen der DDR folgendermassen:

[U]nsere Leute sind nicht dümmer als die anderen. Die können das mindestens genauso gut, wir haben ein gutes Schulsystem. Das ist auch jetzt noch meine Meinung. Wir haben hervorragende Hochschulen, die gut ausgerüstet sind, die produzieren auch hinreichend gut ausgerüstete Akademiker; und wir haben eine gute Grundlagenforschung. Da ist also die Frage: Warum und aus welchem Grunde haben wir solche Probleme? Es kann doch nicht an den Menschen liegen! [...] Es geht also nur um Randbedingungen, die andere leichter haben.14

Das Beispiel von Agfacolor bzw. Orwocolor ist insofern ein besonders geeignetes für die Betrachtung von Qualitäten des Farbfilms, als es einerseits in seiner Inventions- und Innovationszeit in den 1930er-Jahren im Dritten Reich und über die Grenzen hinweg Synonym für den Anbeginn einer neuen Ära im Bereich der Produktion und Reproduktion farbiger Bilder stand. Andererseits wurde die positive Konnotation der Anfangsjahre durch eine immer lauter werdende Missbilligung der Qualität während der Zeit des Kalten Krieges abgelöst. Aufgrund der politischen Situation waren die wirtschaftlichen Bedingungen der Filmfabrik Wolfen nach dem Übergang in die sowjetische Besatzungszone 1945 eng an die zentralisierten Vorgaben des sozialistischen Regimes gebunden und wurden 1950 mit dem Eintritt der DDR in den ‹Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe› (RGW) intensiviert. Was zu welcher Qualität und Quantität produziert werden konnte, hing zu dieser Zeit stark von äusseren Faktoren wie etwa politisch motivierten Wirtschaftsbeziehungen ab, die zeitweise zu verbergen oder schönzurechnen versucht wurden.15 Die Agfacolor-Patente verbreiteten sich derweil nach Ende des Zweiten Weltkrieges weltweit und kamen bei anderen Farbfilmherstellern und deren Produkten zum Einsatz, beispielsweise bei der italienischen Ferrania oder der japanischen Fuji. Mit dieser wachsenden Zahl an Konkurrenzmaterialien auf dem Farbfilmmarkt veränderten sich auch zunehmend die Qualitätsansprüche der Filmproduzenten und der Privatkunden generell. Während bei den Produzenten von verschiedenen chromogenen Farbfilmen stetig Veränderungen des Herstellungsverfahrens vorgenommen wurden und sich Kodaks Standards global durchsetzten, hielt die Filmfabrik Wolfen an der längerfristigen Umstellung ihres Farbkomponentenchemismus nach Vorbild von Eastman Color fest. Laut Jochen Steinecke, dem ehemaligen Ökonomen der Forschungsabteilung in Wolfen, ist dies jedoch einer der Gründe für Wolfens Zurückfallen im Farbfilmgeschäft.16 Das Nacheifern internationaler Standards brachte die Farbfilme aus Wolfen im Qualitätswettstreit nicht voran, da politische und wirtschaftliche Faktoren der endgültigen Implementierung oder auch der eigenständigen Forschung innovativer Technologien entgegenstanden. Durch die transnationale Zirkulation der verschiedenen Produkte jedoch ergaben sich politisch und zivilgesellschaftlich anerkannte Qualitätsstandards, mit denen mitzuhalten für Wolfen schwierig war.

Die Qualität der Farbwiedergabe

Wie bereits angesprochen, war Kodak der wohl wichtigste Konkurrent, an dem sich die Filmfabrik Wolfen gerade in Fragen der Qualität mass. Nachdem diese mit Kodachrome ihr erstes chromogenes Farbfilmmaterial vorgestellt hatten, folgte mit der Einführung von Eastman Color Negative 5247 1950 der erste farbmaskierte Kinenegativfilm überhaupt. Das Forscherteam von Kodak arbeitete in den darauffolgenden Jahren kontinuierlich an der generellen Verbesserung der Farbwiedergabe, beispielsweise durch eine gesteigerte Lichtempfindlichkeit, erhöhte Feinkörnigkeit und durch veränderte Rezepturen der verwendeten Farbkuppler in den einzelnen Schichten.17 Kodak avancierte ab den 1960er-Jahren mit seinen Foto- und Kinefilmerzeugnissen zum Qualitätsstandard, an dem sich die amerikanischen (Ansco/GAF), europäischen (Gevaert, AGFA, Ferrania) und asiatischen (Fuji, Konishiroku) Konkurrenten massen. Auch in der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik (ČSSR) wurde das verhältnismässig leichter zur Verfügung stehende Agfacolor bzw. Orwocolor aus der DDR mit den Erzeugnissen aus dem nicht sozialistischen Westen verglichen. Die tschechische Filmwissenschaftlerin und Restauratorin Anna Batistová verweist auf spezifische Faktoren, die stellvertretend für den Qualitätsvergleich galten:

[The] quality of the eastern Agfa stock was low. In various tests conducted in the period, Czechoslovak technicians found the definition of Agfacolor positive materials 50 per cent lower than that of Eastmancolor, while the sensitivity of the emulsion was uneven, sometimes in the same reel. Up to 10 per cent of the Agfacolor material was sent back to Wolfen as faulty every year. Reports from the period comment on the low quality of the colour stock causing problems during shooting and processing (Anon. 1955). Proof of this is evident in the poor colour saturation in scenes with lower intensity of light (for example night scenes) and changes of colour during dissolves which are visible on the surviving prints and recently released digital copies of some films.18

Tereza Frodlová attestiert den Farbfilmmaterialien aus Wolfen anhand der Auswertung eines ausführlichen Primärquellenfundus aus dem tschechischen Nationalarchiv Národní filmový archiv (Prag, Tschechische Republik) ebenfalls zahlreiche Probleme. Neben den technischen Mängeln, die mit dem Prozess der Farbfilmherstellung zusammenhängen – beispielsweise der ungleichmässige Emulsionsauftrag19 – und die sich besonders auf ästhetischer Ebene manifestieren, spricht Frodlová des Weiteren die unzuverlässigen Lieferabkommen und die mangelhafte Kommunikation zwischen den sozialistischen Handelspartnern an.20 In vielen Fällen werden allerdings hauptsächlich die ästhetischen Eigenschaften der Farbfilmmaterialien verkürzt mit ‹Qualität› gleichgesetzt. Dieser Trend setzt sich in der Technologiegeschichtsschreibung fort, wenn es beispielsweise im Vorwort von Roderick T. Ryans Monografie A History of Motion Picture Color Technology (1977) heisst:

Each of the [...] film manufacturers whose products are mentioned above has contributed significantly to the state of the art technology of color motion pictures. A review of any one of these processes indicates a steady progression towards improved quality and simplification of process techniques.21

Ryan – selbst ein ehemaliger Mitarbeiter von Kodak – bezieht sich in seiner Publikation hauptsächlich auf technische Bedingungen der Farbfilmproduktion. Gleichzeitig verteidigt er mit der Selektion der beschriebenen Verfahren seine amerikazentristische Perspektive auf diese Entwicklungen. Indem er zwar die Fortschritte von anderen, nicht amerikanischen Wettbewerbern in seine Ausführungen miteinbezieht, aber Verfahren, die sich nicht auf dem amerikanischen Markt etablieren konnten, aussen vor lässt, zeichnet er ein verzerrtes Bild der Entwicklung der Farbfilmtechnologie, die allerdings den soziopolitischen Zeitgeist des Kalten Krieges widerspiegelt. In der Beurteilung des Erfolgs und damit der Qualität der angeführten Farbfilmmaterialien aus Europa und Asien unterstreicht Ryan deren Rolle für amerikanische Produktionsfirmen und führt dies insbesondere auf ihre hohe Anpassungsfähigkeit an amerikanische Standards zurück.22 Damit nennt er neben der Orientierung an der ästhetischen Beurteilung der Farbwiedergabe noch ein weiteres Qualitätsmerkmal, das als positive Eigenschaft eines chromogenen Farbfilms ausgelegt werden konnte: die Kompatibilität mit anderen Verfahren.

Alternative Qualitäten – Das indische Gegenbeispiel

Das Beispiel der Filmfabrik Wolfen – zu Zeiten der sozialistischen Planwirtschaft – zeigte auf, dass das in einem Land am meisten verbreitete Farbfilmmaterial seinen Erfolg nicht zwangsläufig der ausgereiften technischen Qualität zu verdanken hatte, sondern dass auch politische Motive eine Rolle gespielt haben. Dank eines bilateralen Handelsabkommens mit Indien schrieben sich gerade die Orwocolor-Filme eng in die indische Filmgeschichte ein und prägten eine ganze Generation von Filmemachern, die mit dem preiswerteren Material arbeiteten. Günther Gromke beschrieb die Handelsbeziehungen zwischen Indien und der DDR folgendermassen:

Es gab ein zweiseitiges Abkommen zwischen Indien und der DDR. Es wurde also nicht in Devisen abgerechnet, sondern es wurde gegenseitig abgerechnet. Das war ein Tauschgeschäft, wenn man so will. Also wir haben dort Kaffee, Tee, Knochenschrot, Schellack und solche Dinge, also weitestgehend Naturprodukte, eingekauft und dafür haben wir eben verkauft und das wurde gegenseitig verrechnet. Insofern war das für die Inder auch ganz attraktiv, auch die Inder hatten damals noch Mangel an Devisen.23

Das Tauschabkommen sicherte den Wolfener Farbfilmen auf der einen Seite ihre transnationale Verbreitung, und auf der anderen Seite war es die Grundvoraussetzung für die eigene Produktion überhaupt. Gleichzeitig konnten die günstigen Orwocolor-Positivfilme die indische Nachfrage nach massenkompatiblen Materialien für die Kinoverbreitung abdecken. Innerhalb dieses Abhängigkeitsgefüges bewegte sich die Farbfilmherstellung und -verbreitung von Orwocolor während des Bestehens der DDR schliesslich auch.

Wenn in Bezug auf die modernen Farbfilmmaterialien unter dem Qualitätsbegriff allein die technisch-ästhetischen Komponenten der Lichtempfindlichkeit, der Korngrösse und der Farbwiedergabe zusammengefasst werden, dann scheint es retrospektiv verständlich zu sein, warum sich die Agfacolor- und Orwocolor-Filme nicht dauerhaft durchsetzen konnten; gerade auch in Anbetracht der Tatsache, dass ein stabiler Produktionsprozess nicht beständig gewährleistet werden konnte. Nichtsdestotrotz ist die weitreichende Verbreitung der Produkte und die daraus resultierende hohe Anzahl an Orwocolor-Filmen in den Archiven weltweit bemerkenswert. Um eine gleichwertige Ausgangsstellung von verschiedenen Faktoren garantieren zu können, mache ich deshalb an dieser Stelle die unpräzise Begriffsdefinition von Qualität für mich fruchtbar: Wenn Qualitäten bestimmte Eigenschaften einer Sache widerspiegeln, dann wäre es durchaus denkbar, derartige Eigenschaften wie Langlebigkeit, Reichweite und Kompatibilität ebenso in die Reflexion über die historische Bedeutung der Filmfabrik Wolfen miteinzubeziehen und sie dadurch in ein anderes Licht zu rücken.

AGFA LTD, Werbeanzeige für Agfacolor «There’s Colour… and COLOUR», in: The British Journal of Photography, London, Vol. 101, 25.6.1954, S. ix.

AGFA LTD (wie Anm 1).

Brockhaus, Qualität (allgemein), https://brockhaus.de/ecs/enzy/ar..., zuletzt besucht am 4.9.2018.

Vgl. Claus Liebmann/Norbert Welsch, Farben. Natur, Technik, Kunst. Heidelberg 2004.

Anya Hurlbert, «The Perceptual Quality of Color», in: Liliana Albertazzi (Hg.), Handbook of Experimental Phenomenology. Visual Perception of Shape, Space and Appearance, New York 2013, S. 369–394, S. 376f.

Anm. d. Verf.: Zur Geschichte der Filmfabrik Wolfen existiert eine Vielzahl an Publikationen, darunter Manfred Gill, 85 Jahre Filmfabrik Wolfen. Aufstieg und Untergang einer Weltfirma, Wolfen Kr. Bitterfeld 2010; die Hefte-Reihe Industrie- und Filmmuseum Wolfen e.V. (Hg.), Die Filmfabrik Wolfen. Aus der Geschichte Heft 1–12, Wolfen Kr. Bitterfeld, 1997ff; Silke Fengler, Entwickelt und fixiert. Zur Unternehmens- und Technikgeschichte der deutschen Fotoindustrie, dargestellt am Beispiel der Agfa AG Leverkusen und des VEB Filmfabrik Wolfen (1945–1995), Essen 2009; Rainer Karlsch/Paul Werner Wagner, Die AGFA-ORWO-Story. Geschichte der Filmfabrik Wolfen und ihrer Nachfolger, Berlin 2010; Rainer Karlsch/Hartmut Maier, Studien zur Geschichte der Filmfabrik Wolfen und der IG Farbenindustrie AG in Mitteldeutschland, Essen 2014.

Anm. d. Verf.: ‹Viragen› und ‹Tonungen› zählen zu den applizierten Farbverfahren, die eine monochrome Farbwirkung erzeugen. ‹Ufacolor›- und ‹Agfacolor-Linsenrasterfilm› sind mimetische Farbverfahren, die auf subtraktiver bzw. additiver Farbmischung beruhen. Genauere Angaben zur Funktionsweise und Anwendung finden sich auf der Internetseite von Prof. Dr. Barbara

Flückiger, Timeline of Historical Film Colors, http://zauberklang.ch/filmcolors/, zuletzt besucht am 4.9.2018.

Anm. d. Verf.: Die analoge Duplikation von Filmen erfolgt stets über den Zwischenschritt des Umkopierens über ein Negativ- oder Positiv-Element. Der Vorteil, der sich aus dem sogenannten Negativ-Positiv-Verfahren ergibt, ist die Möglichkeit der Vervielfältigung der Aufnahmen des Kameranegativs mithilfe verschiedener Positivkopien. Demgegenüber stehen die Umkehrfilme, die direkt als Positive entwickelt werden und damit unmittelbar vorführbar sind, jedoch nur als Unikat existieren.

Vgl. Ehrhard Finger, «Offenlegung des Know-how zum Agfacolor-Verfahren am Ende des Zweiten Weltkrieges», in: Christian Fuhrmeister, Stephan Klingen, Iris Lauterbach und Ralf Peters (Hg.) «Führerauftrag Monumentalmalerei». Eine Fotokampagne 1943–1945, Köln 2006, S. 58–59.

ORWO. Die Geschichte einer Filmfabrik (Anne Schmidt, DE 2010), TC 00:33:20 bis 00:33:50.

Vgl. Manfred Gill, 85 Jahre Filmfabrik Wolfen. Aufstieg und Untergang einer Weltfirma, Wolfen Kr. Bitterfeld 2010, S. 75f.

Nicolas Le Guern, Contribution of the European Kodak Research Laboratories to Innovation Strategy at Eastman Kodak, De Montfort University 2017, S. 51.

Anm. d. Verf.: Die Berichte liegen im Archiv des Industrie- und Filmmuseum Wolfen.

ORWO. Die Geschichte einer Filmfabrik (Anne Schmidt, DE 2010), TC 00:30:15 bis 00:31:00.

Vgl. Jochen Steinecke (Hg.), Dokumente zur neueren Geschichte des VEB Filmfabrik Wolfen. Ausgewählte Dokumente und Quellen zur Filmherstellung 1964–1990, Magdeburg 2014, S. 18ff; vgl. Silke Fengler, Entwickelt und fixiert. Zur Unternehmens- und Technikgeschichte der deutschen Fotoindustrie, dargestellt am Beispiel der Agfa AG Leverkusen und des VEB Filmfabrik Wolfen (1945–1995), Essen 2009, S. 217ff.

Steinecke (wie Anm. 15), S. 20ff.

John Waner, Hollywood’s Conversion of all Production to Color using Eastman Color Professional Motion Picture Films, Newcastle 2000.

Anna Batistová, «Glorious Agfacolor, Breathtaking Totalvision and Monophonic Sound. Colour and ‹Scope› in Czechoslovakia», in: Simon Brown, Sarah Street und Liz Watkins (Hg.), Color and the Moving Image. History, Theory, Aesthetics, Archive, New York/London 2013, S. 47–55, S. 49.

Vgl. Tereza Frodlová, «In the Colours of Agfacolor. Introduction of Colour to Czechoslovak Cinema of the 1940s and 1950s», in: Lucie Ćesálková (Hg.), Czech Cinema Revisited. Politics, Aesthetics, Genres and Techniques, Prag 2017, S. 276–301, S. 288.

Frodlová (wie Anm. 19), S. 290ff.

Roderick T. Ryan, A History of Motion Picture Color Technology, London 1977, S. 181.

Ryan (wie Anm. 22), S. 181.

ORWO. Die Geschichte einer Filmfabrik (Anne Schmidt, DE 2010), TC 00:32:11 bis 00:32:47.

Josephine Diecke
*1991, studierte Filmwissenschaft und Französische Philologie in Mainz, Frankfurt am Main, Liège und Udine. Während ihres Studiums wirkte sie an diversen Filmfestivals mit, wurde mit den Abläufen eines Programmkinos vertraut, und half bei der Vorbereitung, Durchführung und Nachbearbeitung von verschiedenen Filmrestaurierungsprojekten. Seit 2016 ist sie Doktorandin im SNF-Projekt Filmfarben. Technologien, Kulturen, Institutionen am Seminar für Filmwissenschaft der Universität Zürich, mit regelmässigen Beiträgen für die Timeline of Historical Film Colors und dem Projekt-Blog filmcolors. Seit 2018 Redaktionsmitglied des Schweizer Filmjahrbuchs CINEMA. www.zauberklang.ch/filmcolors, www.filmcolors.org
(Stand: 2020)
[© cinemabuch – seit über 60 Jahren mit Beiträgen zum Schweizer Film  ]