STÉPHANE KUTHY

DAS KONTINUIERLICHE SUCHEN NACH DEM RICHTIGEN BILDAUSSCHNITT

MOMENTAUFNAHME

Jeder Film ist eine Reise. Für den Kameramann beginnt sie mit dem Drehbuch oder mit einem Treffen mit dem Regisseur. Eine Idee für den Film, ausformuliert oder nicht, befindet sich da irgendwo. Man beginnt, sich Bilder, die bereits beschrieben oder noch zu erfinden sind, vorzustellen. Man sucht Fotos, Gemälde, Filmausschnitte, um über Kadragen und Licht zu sprechen, über Stil, Farben, Textur, Rhythmus, über die Thematik des Filmes. Die Grundfrage ist jeweils: Wie kann man mithilfe der visuellen Erzählung das, was der Film erzählen will, am besten zum Ausdruck bringen? Man findet eine visuelle Grammatik, die im Prinzip für jedes Projekt neu zu definieren ist. All diese Entscheidungen sind letzlich sehr subjektiv, auch wenn man lange darüber nachdenkt und sie erklären kann: Ein anderer Kameramann hätte andere Vorschläge und würde das Vorhaben anders angehen. Es gibt natürlich rein technische Aspekte, bei denen Qualität eine feste Grösse ist, aber für alles andere, für das Wesentliche, ist Qualität nicht messbar und sehr persönlich. Entscheidungen zur visuellen Narration, die Wahl der Drehorte, des Dekors, der Ausrüstung und der Mitarbeiter stellen wichtige Weichen. Auch Kompromisse, die man vor Drehbeginn eingeht, gehören dazu, wenn man als Kameramann über die Qualitäten, die man dem Film geben möchte, spricht.

Fangen die Dreharbeiten an, werden viele wichtige Entscheidungen getroffen. Manche ganz bewusst und andere instinktiv. Für jede Einstellung sucht man den richtigen Bildausschnitt, mehr oder weniger hartes, farbiges, kontrastreiches Licht. Über die Platzierung der Schauspieler im Raum und im Licht, über jede Kamerabewegung wird man versuchen, meistens unter Zeitdruck, das zu machen, was man für richtig hält und gut findet, um im Einklang mit dem, was man vorhatte, und mit dem, was sich vor uns abspielt, zu sein. Man wird gegen Unvorhergesehenes kämpfen, man wird warten, bis die Wolken endlich der Sonne weichen, und man wird mal Pech und mal Glück haben.

Aber die wahre Frage, die uns Kameraleute umtreibt, ist diejenige nach dem Mehr, sie löst die Lust aus, immer mehrere Schritte weiterzugehen, Emotionen zu kreieren, starke, passende, poetische, originelle, unvergessliche Bilder, einzigartige Momente festzuhalten. Dieses Level an Qualität, ist, was wir erreichen möchten und was uns antreibt. Und auch wenn es nicht jedes Mal gelingt – versuchen sollte man es immer.

Stéphane Kuthy
*1968 in Paris. Filmstudium an der ECAL in Lausanne. Kameraassistent u.a. bei Pio Corradi. Kameramann bei Le Vent Tourne, Tannöd und Die Herbstzeitlosen von Bettina Oberli, Wo bist Du, João Gilberto? von Georges Gachot, Jeune Homme von Christoph Schaub, Die Frau mit den 5 Elefanten von Vadim Jendreyko u.v.m. www.stephanekuthy.com
(Stand: 2020)
[© cinemabuch – seit über 60 Jahren mit Beiträgen zum Schweizer Film  ]