Elise (Jane Birkin) wohnt in einem Steinhäuschen neben den Bahngleisen. Ihren einsamen Alltag versucht sie sich mit dem täglichen Begrüssen des TGVs, der durch die Romandie hindurch direkt neben ihrem Haus verkehrt, unterhaltsamer zu gestalten. Genau wie der Zug scheint auch das Leben ‹à grande vitesse› an Elise vorbeizuziehen: Stoisch gibt sie sich ihren Ritualen hin, ohne Platz für eine sich rapide modernisierende Umwelt zu machen. In ihre sonst so behutsam konservierte Welt bricht dennoch immer wieder ein Stück der Realität hinein; etwa wenn eine findige Beraterin der SBB am Telefon eine Recherche im Internet empfiehlt, während Elise noch vor der Schreibmaschine sitzt, oder wenn die Kunden wegen dem Billigsupermarkt im Dörfchen Elises Bäckerei-Confiserie, die sie schon seit einer gefühlten Ewigkeit führt, fernbleiben. Auf diese Einbrüche reagiert Elise genervt und überfordert. Erst ein intensiver Briefwechsel mit dem Kondukteur, der im TGV an ihrem Haus vorbeibraust und sich über Elises tägliches Winken freut, haucht ihr Leben ein: Freudig erwartet sie ab nun Monsieur Zubrists Aufmerksamkeiten in Form von Briefen und Geschenken, die er vom Führerhäuschen aus in ihren Garten wirft. Dieses Liebesintermezzo verläuft für die wieder aufblühende Elise unerwartet, dennoch lernt sie, das Leben wieder mit neuen Augen zu sehen.
Nicht zuletzt dank dieser ‹Moral der Geschichte› erinnert Timo von Guntens Kurzfilm an ein Kindermärchen. Die Bilder in La femme et le TGV verstärken den Eindruck: Die Wohnungseinrichtung im Vintage-Look und das verschlafene Dörfchen sind mehrheitlich in Erdtönen, Rosa und Türkis gehalten, die orchestrale Filmmusik übersetzt die romantische Bildsprache ins Akustische. Von Gunten bedient sich durchwegs einer Ästhetik, die an den französischen Le fabuleux destin d’Amélie Poulain (Jean-Pierre Jeunet, FR 2001) erinnert: So wird die ländliche Schweiz zum Postkartenmotiv – die Geschichte spielt im fiktionalen ‹Monbijou› –, vor dessen Hintergrund sich die spielerische Geschichte mit ihren komödiantisch-eigenwilligen Figuren entfaltet.
La femme et le TGV war als bester Kurzfilm für den Oscar 2017 nominiert und als Teil der «Official Selection» am Filmfestival Locarno zu sehen. Dabei war es wohl vor allem die französische Ikone Jane Birkin, die beim Publikum gut ankam – die Geschichte selbst erscheint dagegen zu generisch, um wirklich erinnerungswürdig zu sein. Das Format des Kurzfilms verleiht der Erzählung immerhin Tempo und befreit sie von überflüssigem Ballast, was La femme et le TGV davor bewahrt, langatmig oder eintönig zu wirken.