SENTA VAN DE WEETERING

MAXIMILIAN (NICOLAS GREINACHER)

SELECTION CINEMA

Der Durchschnitt der Normalsterblichen muss sich mit einem Intelligenzquotienten von etwa 100 begnügen, 129 gilt als sehr und alles drüber als hochbegabt. Der IQ des 13-jährigen Maximilian ist 149. Er übersprang drei Primarschulklassen und bestand neunjährig die Mathematik-Matura mit Bestnote. Und er hat einen Vater, der sich sehr medienwirksam darüber empörte, dass seinem Sohn daraufhin trotzdem die Aufnahme an die ETH Zürich verwehrt wurde, mit der Begründung, er sei zu jung. Das führte dazu, dass Maximilian schon in jungen Jahren mehr Medienaufmerksamkeit erhalten hat, als die meisten Leute in ihrem ganzen Leben bewältigen müssen. Menschen, die weder ihn noch seine Eltern persönlich kennen, fühlten sich daraufhin zu – oft feindlichen – Stellungnahmen bemüssigt.

Ohne diesen Medienrummel gäbe es wahr­scheinlich Nicolas Greinachers Film nicht. Der Regisseur ist sich bewusst, dass er damit selber auch Teil davon wird. Gleichzeitig bemüht er sich um ein differenzierteres Bild, als es in den Medien sichtbar wird, und begleitet mit seinem Team ein ganzes Jahr lang die Familie. In langen Gesprächen erhalten die Eltern die Möglichkeit, ihre durchaus unterschiedlichen Haltungen darzulegen. Während die Mutter sich um das Wohlergehen ihres Sohnes insgesamt sorgt, ist der Vater überzeugt, dass eine Förderung der mathematischen Begabung das Beste sei für den Jungen. Maximilian selber scheint die meiste Zeit keineswegs überfordert, weder mit den deutlich älteren Klassenkameradinnen und -kameraden noch mit der Medienaufmerksamkeit. Der Film zeigt TV-Mitschnitte, in denen die Moderatorinnen und Moderatoren im Umgang mit dem Jungen oft eher unbeholfen wirken, während er souverän auf ihre Fragen antwortet. Die Interviewsituation scheint er besser im Griff zu haben als seine Befrager.

Nicolas Greinacher bleibt seinem Vorhaben, hinter den Medienrummel zu schauen, treu und verzichtet darauf, Thesen zum Umgang mit hochbegabten Kindern zuzuspitzen. Vielleicht wirkt deshalb der theoretische Überbau zum Thema «Wunderkinder», den die Interviews mit Kinder- und Jugendtherapeut Allan Guggenbühl geben sollten, beinah etwas zusammenhanglos. So überlässt Greinacher es dem Publikum, eine eigene Haltung zu den Protagonistinnen und Protagonisten zu finden. Dem Vater zum Beispiel gibt er zwar ein weiteres Sprachrohr für seine pointierten Meinungen. Ob man darin aber einen selbstge­fälligen Pensionierten sieht, der seinen Sohn benützt, um eine neue Lebensaufgabe zu kre­­ieren, oder aber einen aufrechten Kämpfer für das Recht auf adäquate Ausbildung und gegen Gleichmacherei, bleibt den Zuschauenden über­lassen.

Senta Van de Weetering
Filmwissenschaftlerin und Germanistin. Arbeitete als Journalistin, Redaktorin, Moderatorin und Texterin. Heute arbeitet sie für die Unternehmenskommunikation der Hochschule Luzern und im Team der Internationalen Kurzfilmtage Winterthur.
(Stand: 2020)
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