Fotos, Tondokumente, Filme und Videos haben nur dann eine Zukunft, wenn ihnen besondere Aufmerksamkeit gewidmet wird. Im Unterschied zum Papier können sie bei unsachgemässer Lagerung verhältnismässig schnell zerfallen oder es stehen wegen der rasanten technischen Entwicklung keine Abspielgeräte mehr zur Verfügung. Nachfolgende Generationen werden deshalb einen Grossteil stehender beziehungsweise bewegter Bilder und Töne nicht mehr sehen und hören können. Bereits sind grosse Teile des audiovisuellen Erbes für immer verloren. Die Gründe sind vielfältig.
So gingen Filme verloren, wurden bewusst vernichtet oder aber sie hielten dem Zahn der Zeit wegen ungeeigneter Lagerung nicht stand. Bekanntlich besteht bei Nitratfilmen das Risiko der Selbstentzündung oder des Zerfalls. Wenig besser steht es um Filme auf Azetatbasis, deren Anfälligkeit für das Essigsyndrom durch kühle und trockene Lagerung lediglich hinausgezögert werden kann. Insbesondere bei Ton- und Videobeständen kommt zu den Zerfallserscheinungen als wichtigstes Risiko die Obsoleszenz dazu. Damit ist das Verschwinden von Geräten und Know-how gemeint, die für die Wiedergabe von Aufzeichnungen ab physischen Trägern (z. B. Videobändern) benötigt werden. Als Folge der Umstellung auf digitale Produktionsworkflows stellt die Industrie bereits heute kaum mehr Abspielgeräte und Ersatzteile her, die auch für die Digitalisierung von analogen Ton- und Videodokumenten unerlässlich sind.
Wie kann ein professionelles Netzwerk für die Erhaltung audiovisueller Kulturgüter öffentliche Institutionen bei der Überlieferung von Bild- und Tondokumenten an spätere Generationen unterstützen? Wie beeinflusst der unaufhaltsame Einzug des Digitalen in alle Lebens- und Arbeitsbereiche die Erhaltung und Vermittlung des audiovisuellen Kulturguts?
Um audiovisuellen Dokumenten eine Zukunft als wichtiger Teil unseres kulturellen Gedächtnisses zu ermöglichen, fördert Memoriav, der Verein zur Erhaltung des audiovisuellen Kulturguts der Schweiz, Archivierungsprojekte finanziell und unterhält ein Netzwerk, das audiovisuelles Erhaltungswissen verbreitet.1 Die meisten Projekte werden von Institutionen lanciert, die nicht über ein spezialisiertes Know-how zu audiovisueller Erhaltung verfügen. Um überhaupt ein Erhaltungsprojekt planen zu können, brauchen sie Grundlagen. Diese zu liefern ist der Zweck der Memoriav-Empfehlungen.2
Die folgenden Ausführungen beginnen mit grundsätzlichen Überlegungen zur Funktion von Empfehlungen und fokussieren anschliessend auf das jüngste Kind der Familie, auf die «Empfehlungen zur digitalen Archivierung von Film und Video» (DAFV).
Ziel und Entwicklung der Memoriav-Empfehlungen
Die Memoriav-Empfehlungen dienen dazu, den auf internationaler Ebene geführten Fachdiskurs so aufzubereiten, dass er für Mitarbeitende in Gedächtnisinstitutionen wie Bibliotheken, Museen und Archiven ohne spezialisierte Kenntnisse in audiovisueller Archivierung nutzbar gemacht wird. Sie schaffen die Voraussetzung, dass als archivwürdig bewertete Bestände und Sammlungen wirklich langfristig gesichert werden können und auch künftige Technologiewechsel überleben.
Für die Entwicklung der Empfehlungen kann Memoriav auf Experten/-innen zurückgreifen, die in den sogenannten Kompetenznetzwerken Foto, Ton, Film und Video organisiert sind. Im Fall der neusten Empfehlungen waren dies Agathe Jarczyk, Reto Kromer und David Pfluger, die organisatorisch und redaktionell durch Yves Niederhäuser, einen der Autoren dieses Textes, unterstützt wurden. Die Mitglieder der Kompetenznetzwerke verfügen über langjährige Erfahrungen mit audiovisuellen Erhaltungsprojekten. Sie tauschen sich mit Kollege/-innen auf nationaler und internationaler Ebene über neue Erkenntnisse und Entwicklungen aus, welche die Erhaltung audiovisueller Dokumente verbessern. Sie kümmern sich auch um die Überarbeitung früherer Empfehlungen, die nicht mehr zeitgemäss sind oder deren Annahmen sich im Nachhinein als falsch erwiesen haben. Dies gilt vor allem für die Digitalisierung und die digitale Archivierung. Es werden laufend neue Codecs (Algorithmus für die Codierung und Decodierung z. B. von Video) und Container (Dateiformate, die verschiedene Elemente ‹verpacken› können, z. B. Video- und Audiostream, Timecode und Untertitel) wie auch neue Speichermedien angeboten, die besser als ihre Vorgänger sein sollen. Eine genaue Prüfung der Zuverlässigkeit und Eignung für die Archivierung kann aber nur durch erfahrene Personen und systematische Tests vorgenommen und von der Archivierungscommunity eingeschätzt werden. Diese debattiert in Foren, auf Listen und an internationalen Konferenzen über die Relevanz neuer Entwicklungen. Die Mitglieder der Kompetenznetzwerke und -zentren von Memoriav, die sich an der Ausarbeitung der Empfehlungen beteiligen, sind Teil dieser Community. Selbstredend sind auch ihre heutigen Ratschläge nicht davor gefeit, in einigen Jahren aufgrund neuer Erfahrungen und Möglichkeiten abgelöst zu werden. Memoriav bemüht sich daher, nur breit abgestützte Empfehlungen abzugeben und laufend deren Aktualität zu überprüfen.
Segen und Fluch der Digitalisierung
In den ersten, vor mehr als zehn Jahren erschienenen Empfehlungen legte Memoriav den Schwerpunkt auf Fragen zum Umgang mit analogen Formaten. Wie lassen sich verschiedene Formen von Fotografien, Tonträgern, ein Magnetband oder ein Filmstreifen genau identifizieren? Welche Bedingungen müssen für die optimale Konservierung gegeben sein? Auf welche neuen Träger kann und soll migriert werden? Ergänzend wurden auch die wichtigsten Schritte eines Erhaltungsprojekts angesprochen, ohne dort allerdings allzu sehr in die Details zu gehen. Diese Empfehlungen wurden bereichsspezifisch mit einem quasi enzyklopädischen Anspruch verfasst.
In letzter Zeit festigte sich die Erkenntnis, dass immer mehr Themen bereichsübergreifend sind und dass diese sinnvollerweise in allen Empfehlungen konsistent formuliert werden. Dazu gehören etwa die archivische Bewertung, Erschliessung, Rechtefragen oder – immer mehr – die Digitalisierung und digitale Archivierung. Mit zunehmender Obsoleszenz immer zahlreicherer audiovisueller Trägerformate erhöht sich die Notwendigkeit, die Memoriav-Empfehlungen durch entsprechende Kapitel zu den letztgenannten Themen zu ergänzen.
Die Digitalisierung birgt für Archive interessante Potenziale, insbesondere für den Zugang und die Vermittlung von Bildern und Tönen. In der Tat erfüllen trägerunabhängige audiovisuelle Dokumente das grundsätzliche Bedürfnis nach einfacher und grenzenloser Verfügbarkeit. Sehr effiziente Kompressionsalgorithmen und ständig steigende Übertragungskapazitäten ermöglichen heute eine wesentliche Vereinfachung der Verbreitung z. B. von Video via Youtube oder Vimeo. Gleichzeitig fielen die Preise für Digitalisierungshard- und software und ihre Nutzung demokratisierte sich. Für die Lagerung der Daten können billige externe Festplatten im Regal oder eine Cloud verwendet werden.
Damit aber audiovisuelle Dokumente nachhaltig gesichert werden können, genügen Basiskenntnisse und eine Consumer-Infrastruktur nicht. Es braucht weiterhin Erfahrung, Expertenwissen und professionelle Maschinen, um erhaltens- und damit zukunftsfähige digitale Kopien des audiovisuellen Kulturguts herstellen zu können. So können kleine Fehler bei der Herstellung oder bestimmte Formen der Kompression zu Problemen führen, die nicht unmittelbar ersichtlich sind, aber auf die lange Dauer wegen der unumgänglichen Erneuerung von Soft- und Hardware und damit verbundenen Formatmigrationen negative Auswirkungen haben werden. Immer öfter ist zudem spezielles Informatikwissen gefragt, um den gesamten, heute weitgehend digitalisierten Workflow von einer allfälligen Digitalisierung über die Restaurierung und Dokumentation bis zur digitalen Archivierung und Nutzung unter Kontrolle zu halten und damit nachhaltig zu gestalten.
Gerade im Bereich der Ton- und Bildrestaurierung eröffnen sich mit hochaufgelösten, nicht oder verlustfrei komprimierten Digitalisaten ungeahnte Möglichkeiten. So ermöglichen neue Filmscanner immer höher aufgelöste Abtastungen von analogen Filmen. Ist die fotochemische Restaurierung von Farbveränderungen – der altbekannte Rotstich zum Beispiel – schwierig und teuer, können Fachleute heute den Ursprungszustand mit digitalen Mitteln wiederherstellen. Da die digitalen Möglichkeiten scheinbar grenzenlos sind, werden archivierungsethische Orientierungswerte bei der Wahl des Vorgehens umso wichtiger. Damit ist insbesondere gemeint, dass fachgerechte, an der Authentizität orientierte Restaurierungen von Neu-Editionen, die sich hauptsächlich an zeitgemässen Sehgewohnheiten orientieren, unterschieden werden müssen. Im einen Fall muss beispielsweise die ursprüngliche Körnigkeit eines 16-mm-Films erhalten bleiben, im anderen kann sie mit den heutigen technischen Möglichkeiten ‹ausgebessert› werden.
Um den rasanten Veränderungen und neuen Möglichkeiten Rechnung zu tragen, arbeiten im Moment Mitglieder der Memoriav-Kompetenznetzwerke aus allen vier Bereichen an der Aktualisierung der Empfehlungen. Zusätzlich dazu reagiert Memoriav mit den erstmals bereichsübergreifenden Empfehlungen «DAFV: Grundlagen und Orientierung» auf ein grosses Bedürfnis im Netzwerk.
Die grosse Preisfrage
Als Fachorganisation für audiovisuelle Erhaltung wird Memoriav oft nach dem ‹Standardformat› für die digitale Archivierung beispielsweise von Video gefragt. Es handelt sich hierbei in doppeltem Sinn um eine Preisfrage: Wer die Antwort weiss, dem gebührt erstens ein Preis, weil sich bis heute – im Unterschied etwa zum Foto- oder Tonbereich – kein Standard durchgesetzt hat. Zweitens ist der Entscheid für ein bestimmtes Archivformat sehr preisrelevant, was Digitalisierungskosten und insbesondere auch die langfristig anfallenden Speicherkosten betrifft. Die Antwort entspricht daher aus verschiedenen Gründen oft nicht ganz den Erwartungen, da sie stark kontextabhängig ist: Je nach Menge, Inhalt, Format und Zustand des Materials, abhängig von den konkreten Zielen der Digitalisierung sowie den vorhandenen Ressourcen, erscheinen unterschiedliche Lösungen sinnvoll. Gleichzeitig ist die Antwort respektive der Entscheid essenziell, weil künftige Nutzungsmöglichkeiten und die langfristigen Kosten dadurch bestimmt werden. Da Entscheide von dieser Tragweite den Sammlungsverantwortlichen nicht abgenommen werden können, erscheint es ausgesprochen wichtig, sie in die Lage zu versetzen, gut informierte Entscheide zu fällen und – oft – auch sinnvolle Kompromisse zu finden.
Die Kosten, aber auch ethische, organisatorische, technische, methodische und dokumentarische Herausforderungen werden oft deutlich unterschätzt. Gleichzeitig wird die Digitalisierung analoger Filme und Videos aus den erläuterten Gründen für Archive immer unumgänglicher. Die damit verbundenen Entscheide müssen in kurzer Frist (Fachleute gehen für Video von einer Frist bis 2023 aus)3 gefällt werden, die erhebliche langfristige Wirkungen entfalten. Aus diesen Gründen bilden planerische Grundlagen einen wichtigen Teil der DAFV-Empfehlungen.
Filme und Video digital archivieren, aber wie?
Die DAFV sind, wie alle Memoriav-Empfehlungen, für (nicht spezialisierte) Sammlungs- und Archivverantwortliche entwickelt worden. Aber auch Dienstleistende der Medienproduktion wie Film- respektive Videoproduktionsfirmen und Anbieter, die von Gedächtnisinstitutionen bei der digitalen Archivierung ihrer Bestände hinzugezogen werden, finden darin wertvolle Hinweise für ihre Arbeit. Die Publikation schafft einen Überblick und eine Orientierungshilfe für die Digitalisierung sowie die digitale Archivierung audiovisueller Unterlagen. Verantwortliche sollen dadurch selbst besser einschätzen können, welche Lösungen den qualitativen Ansprüchen ihrer Institution und dem jeweiligen Bestand sowie allgemein der Archivtauglichkeit entsprechen. Es werden keine Patentlösungen angegeben, die Empfehlungen sollen als kritische Einführung dienen, anhand derer spezifische Lösungen entwickelt werden können.
Der Inhalt gliedert sich in drei Hauptteile und beginnt mit dem Versuch, Begrifflichkeiten zu klären, die von den unterschiedlichen an der Digitalisierung und digitalen Erhaltung von Film und Video beteiligten Akteursgruppen sehr unterschiedlich und teils unscharf verwendet werden. Eine möglichst klare, von allen geteilte Terminologie ist Voraussetzung für eine erfolgreiche Zusammenarbeit in einem arbeitsteiligen Prozess wie der digitalen Archivierung.
Im zweiten Teil werden planerische Grundlagen thematisiert. Eine sorgfältige und vorausschauende Planung bildet die Voraussetzung für eine nachhaltige, effiziente digitale Archivierung. Eine solche beginnt mit der Erarbeitung der üblichen Grundlagen der Archivistik, wie Inventar, Bestandesanalyse, Bewertung etc., die oft auf audiovisuelle Bestände weniger sorgfältig oder konsequent angewendet werden als auf andere Bestände. Dafür gibt es verschiedene Gründe: vom kleineren Stellenwert, den Archive audiovisuellen im Gegensatz zu schriftlichen Unterlagen beimessen, über fehlende spezifische Methoden bis hin zur Benutzung, in welcher Bilder und Töne meist als Illustrationsmaterial und nicht als primäre Quellen behandelt werden.
Audiovisuelle Unterlagen bringen eigene Herausforderungen bezüglich der langfristigen Überlieferung mit sich. Organisatorische Entscheide beispielsweise bezüglich Auslagerung oder Aufbau eigener Kompetenzen und Infrastrukturen mit allen damit zusammenhängenden Fragen bezüglich Abläufen und Personal können nur vernünftig gefällt werden, wenn diese Herausforderungen (etwa Fragen bezüglich Identifikation, Status, Zustand, Technik) ernst genommen werden. Hinzu kommt, dass die Digitalisierung wie jeder Übergang von einem Medium zum anderen ethische Fragen aufwirft, die oft in einem Spannungsverhältnis zu den vorhandenen Ressourcen stehen (Qualität versus Kosten). Wichtig ist auch hier, dass sehr gut informierte und bewusste Entscheide gefällt und allenfalls Kompromisse gewählt werden. Es geht also bei der Digitalisierung und der digitalen Archivierung bei Weitem nicht nur um technische Fragen, die Sammlungs- und Archivverantwortliche an Techniker/-innen delegieren können. Mindestens ebenso wichtig sind methodische, organisatorische und ethische Fragen, für deren Beantwortung die Kompetenzen von ausgebildeten und erfahrenen Archivaren/-innen zwingend sind. Dazu kommen zahlreiche technische Herausforderungen, die ebenso auf einer guten Informationsgrundlage respektive in Zusammenarbeit mit den für die (IT-)Technik Verantwortlichen der Institution behandelt werden müssen.
Der dritte Teil behandelt den eigentlichen Kern der Sache, die Empfehlungen. Diese betreffen allgemeine Aspekte zur digitalen Archivierung, erläutern spezifische Themen wie die Archivfähigkeit unterschiedlicher gängiger Datei- und Trägerformate und geben praktische Hinweise zum Vorgehen oder zu nützlichen Werkzeugen. Die Bewertung der gebräuchlichsten Datei-/Videoformate und Datenträger basiert auf den Kriterien des NESTOR Kompetenznetzwerks Langzeitarchivierung und bezieht sich nur auf Archivkopien, nicht auf Kopien für die Benutzung oder andere Funktionen.4 Bei der Auswahl wurden Formate berücksichtigt, die in Gedächtnisinstitutionen in Gebrauch sind; es geht also nicht darum, schon die Auswahl auf geeignete Formate zu beschränken (wie dies andere Empfehlungen tun), sondern quasi die realen Verhältnisse einzuschätzen. Die Bewertung wurde in drei Stufen vorgenommen: Empfohlen werden Datei- respektive Trägerformate, die ohne Einschränkung zukünftiger Nutzung langfristig als archivfähig eingeschätzt werden (wie unten in Beispiel 2 ausgeführt). Bedingt empfohlen werden solche, die zwar gewisse Möglichkeiten der zukünftigen Nutzung einschränken, jedoch aus den jeweils angegebenen Gründen (z. B. grosse Verbreitung) bedingt empfehlenswert erscheinen (Beispiel 1 unten). Nicht empfohlen werden Formate, die wichtige Möglichkeiten der zukünftigen Nutzung unterbinden und für unumgängliche künftige Migrationen als problematisch eingeschätzt werden; konkret betrifft dies verlustbehaftet komprimierte, proprietäre, nicht standardisierte, (bald) obsolete Video-/Dateiformate wie MPEG-4 (H.264/AVC) oder für die langfristige Aufbewahrung ungeeignete Träger wie etwa DVDs oder Blu-ray-Discs.
Eine besondere Schwierigkeit besteht noch mehr als bei den anderen Empfehlungen von Memoriav darin, den Text für technische Laien verständlich zu machen und dennoch die wichtigen Sachverhalte in der für Entscheide im Rahmen von Erhaltungsmassnahmen erforderlichen Komplexität darzustellen.
Ein nützliches Mittel dafür sind Illustrationen, die – durchaus vereinfachend – ein minimales Verständnis ermöglichen. Auf diese Weise werden wichtige Aspekte wie die Bild-Kompression (A), mögliche Probleme, welche Transcodierungen hervorrufen können (B), oder schlicht das Erkennen medienspezifischer Artefakte, wie sie durch Kopier- oder Digitalisierungsvorgänge hervorgerufen werden (C), vermittelt. Das Ziel besteht nicht darin, ein vertieftes Verständnis dieser sehr komplexen Themen zu ermöglichen. Vielmehr sollen die Illustrationen bewusst machen, was beispielsweise Kompression mit Informationen anstellt, die als erhaltenswürdig bewertet wurden. Oder sie erklären, warum möglichst lange Migrationszyklen respektive die Vermeidung von Transcodierungen (schon bei der Digitalisierung, die möglichst ohne Umwege über Zwischenformate im Zielformat vorgenommen werden sollte) die Risiken der langfristigen Erhaltung reduzieren. Ausserdem veranschaulichen sie, dass verschiedene Generationen derselben Dokumente – insbesondere wenn damit Medienbrüche (z. B. Film zu Videoband zu Videodatei) verbunden sind – Artefakte enthalten können. Das letzte Beispiel liefert eines der Argumente, weshalb physische Träger beziehungsweise Originale auch nach einer allfälligen Überspielung respektive Digitalisierung aufbewahrt werden sollen: Sie dienen als Referenz, auf die gegebenenfalls zurückgegriffen werden kann.
Für die Digitalisierung, die auf die digitale Archivierung von Film und Video zielt, hat sich wie erwähnt weltweit kein einheitlicher Standard etabliert. Vielmehr sind sich Fachleute einig, dass die Wahl der Formate (Codec, Container) und die technischen Parameter wie Datenrate, Bildauflösung etc. kontextabhängig bleiben werden. Zur Veranschaulichung werden im Folgenden drei unterschiedliche Kontexte mit konkreten Empfehlungen und Bemerkungen für die Formatwahl dargestellt. Es handelt sich um stark vereinfachte exemplarische Szenarien, die in der Praxis so anzutreffen sind, aber in beliebig anderen Variationen und Kombinationen auftreten könnten und nicht alle Eventualitäten abdecken. Es wird zudem davon ausgegangen, dass ein Format neu gewählt werden muss, also weder ein auf einem bereits vorhandenen Format archiviert werden kann noch bereits ein archivinterner Standard definiert ist.
Beispiel 1: Zur Dokumentation
Ein Archiv will den rein dokumentarischen Inhalt einer grösseren Sammlung von VHS-, Betacam-SP- und MiniDV-Kassetten digitalisieren; die Ansprüche an die Erhaltung technischer und visueller Charakteristiken (z. B. Farbwiedergabe) sind verhältnismässig bescheiden, es geht primär um die Erhaltung des überlieferten Inhalts, nicht des visuellen Eindrucks. Auch ist nicht vorgesehen, die Videodokumente für neue Produktionen oder anspruchsvolle Ausstellungen zu verwenden. Ausserdem ist das Archiv nicht auf audiovisuelle Unterlagen spezialisiert und verfügt weder über spezialisiertes Personal noch besondere Infrastrukturen und finanzielle Mittel für die besonderen Ansprüche der digitalen Archivierung von audiovisuellen Unterlagen.
In einem solchen oder vergleichbaren Fall könnte die Digitalisierung in DV PAL und digitale Archivierung als DV-Dateien oder MXF-Dateien (DV-Datei plus Metadaten) empfohlen werden, mit dem Hinweis, dass DV mit einer starken Kompression arbeitet, die zu Informationsverlusten führt und – je nach Zustand der Originale – Artefakte produziert, die mit überliefert werden. Die Vorteile von DV sind die weite Verbreitung, von SMPTE5 standardisierte Spezifikationen, einfacher Umgang, der es dem nicht spezialisierten Archiv erlaubt, selber mit den Archivkopien umgehen zu können. Ausserdem erhält man verhältnismässig leichte Files (ca. 13 GB/Std.).
Beispiel 2: Das Bestmögliche
Als zweiter Fall wird die Archivierung von Videokunst skizziert. Unabhängig vom originalen Trägermedium sollen die Werke ohne jeden Verlust langfristig erhalten werden. Es handelt sich nicht um riesige Mengen an Werken, aber deren absolut werkgetreue Wiedergabe (insbesondere die visuelle Erscheinung) hat oberste Priorität, weshalb Abtastrate, Bildwiederholfrequenz, Farbsampling, Scanning-Methode (interlaced vs. progressiv) dem Original entsprechen sollen.
In diesem Fall können 8- oder 10bit-4:2:2-uncompressed (v210) oder 10bit-4:4:4-uncompressed (v410, für HD) als Codecs empfohlen werden, je nach vorhandener/geplanter Infrastruktur in Containern wie MXF, MKV oder MOV. In diesem Beispiel wird die Datenmenge verhältnismässig gross (100–780 GB/Std.) und die erheblichen Datenhaltungskosten müssen sehr gut geplant werden. Man hat es dagegen mit fertig entwickelten, etablierten Standards zu tun, die technisch verhältnismässig einfach und wenig anspruchsvoll sind.
Beispiel 3: Ein progressiver Kompromiss
Im dritten Fall will ein Archiv auf Digital Betacam oder HDCAM vorliegende Videoaufnahmen migrieren und Dateien für die Archivierung herstellen (lassen). Die Ansprüche an die Videodateien sind hoch, Informations- und Bildqualitätsverluste der qualitativ sehr guten Aufnahmen sollen vermieden werden, um künftige Nutzungsmöglichkeiten nicht einzuschränken. Die finanziellen Mittel für die digitale Archivierung sind aber sehr begrenzt und erfordern eine Lösung, bei der die Datenmenge ein kritischer Faktor ist.
In diesem Fall könnten verlustfrei komprimierende Codecs wie FFV1 (Version 3) oder JPEG 2000 (lossless) empfohlen werden, mit denen die Datenmenge ohne Informationsverlust auf bis zu einen Drittel reduziert werden kann (ca. 30–50 GB/Std.). Man muss sich bei der Wahl dieses progressiven Kompromisses bewusst sein, dass diese Codecs im Moment noch einiges spezialisiertes Wissen (Open-Source-Software) und im Fall von JPEG 2000 (lossless) viel Rechenleistung erfordern und deren Entwicklung noch in Gang ist. Es muss daher für einen solchen Entscheid gewährleistet sein, dass spezialisiertes Personal vorhanden ist und/oder ein sehr gutes Verhältnis zum/zur externen Anbieter/-in etabliert ist.
Wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, kann man heute FFV1 beispielsweise in einem MKV-Container empfehlen; künftig ist zudem angesichts der sehr dynamischen Entwicklung, die im Moment FFV1 als Archivformat weiter vorantreibt, eine deutliche Vereinfachung der Handhabung zu erwarten. Ausserdem zeichnet sich schon heute deutlich ab, dass FFV1/MKV gleichzeitig zur Archivierung von Video wie auch von Film eingesetzt werden kann. Dies bringt nicht spezialisierten Gedächtnisinstitutionen den erheblichen Vorteil, dass der Formate-Zoo weniger heterogen und damit sowohl der praktische Umgang mit den Dateien wie auch das Preservation Planning einfacher werden. Zusätzlich zur Kombination FFV1/MKV kann auch JPEG 2000 in MXF empfohlen werden, falls die nötige Infrastruktur (sehr leistungsfähige Soft- und Hardware) vorhanden ist.
Ausblick
Die Aktualisierung der Memoriav-Empfehlungen stellt eine grosse Herausforderung dar, die nur dank grossem Zusatzaufwand aller Beteiligten bewältigt werden kann. Der Einsatz der Autoren/-innen ermöglichte im August 2017 die dreisprachige Publikation von Version 1.1 der DAFV-Empfehlungen, die einige Lücken der ersten Version schliesst und Veränderungen des Fachdiskurses berücksichtigt. Die Empfehlungen enthalten nun aktuelle Informationen zu Metadaten und Qualitätskontrolle, bewerten die häufigsten Datei-/Videoformate respektive Datenträger und geben konkrete Formatempfehlungen für Videos.
Der schnelle Wechsel von Technologien, aber auch die rege, auf internationaler Ebene geführte Fachdiskussion führen dazu, dass Memoriav die Empfehlungen künftig als permanente Baustelle behandeln muss. Zur Diskussion stehen neue Publikationsformen, die es einerseits erlauben, gewisse Themen für alle vier Bereiche gleich zu behandeln, und die andererseits flexiblere Reaktionen auf neue Entwicklungen erlauben.
Offen bleibt, wie solche Empfehlungen im konkreten Alltag einer Gedächtnisinstitution umgesetzt werden können. Dies gilt umso mehr, als viele Archive, Museen oder Bibliotheken, die audiovisuelle Unterlagen aufbewahren (müssen), den Umgang mit solchen Dokumenten erst lernen mussten.
Unsere Ausführungen zeigen, dass die Ansprüche an die langfristige Erhaltung auch in der digitalen Welt komplex sind und dass die nötigen Ressourcen bereitgestellt werden müssen. Damit die dafür nötigen Entscheidungen nachhaltig gefällt werden können, braucht es eine Grundlage und eine Bereitschaft, sich mit diesen auseinanderzusetzen.