Zu ihrem 18. Geburtstag erhielt die Regisseurin Eva Vitija von ihrem Vater ein filmisches Best-of ihrer Kindheit: Klein Eva beim Osternestsuchen, Klein Eva beim Kopfsprung ins Wasser, Klein Eva beim Picknick in den Bergen … Eva ebenso wie ihr älterer Bruder Kaspar hatten die geradezu zwanghafte Filmerei ihres Vaters in der Kindheit als lästig und unangenehm empfunden. Entsprechend betroffen reagierte die Regisseurin auf das Geschenk – und sollte zwei Jahre lang nicht mehr mit ihrem Vater sprechen.
Die Homemovies angeschaut hat sie sich erst viel später: nach dem Tod ihres Vaters 2012 und nachdem er ihr einen grossen Haufen Kassetten, Fotos, Disketten und Schriftstücke – «wie ein Mahnfinger aus dem Grab», so Bruder Kaspar – vererbt hatte. Das Material wurde für Vitija zum Auslöser, ihre Familiengeschichte aufzurollen. Und während sie bislang geglaubt hatte, in einer heilen Familie gross geworden zu sein, zeigten sich ihr nun unverhofft die Risse in und die schmerzlichen Konflikte hinter der Fassade. Das Leben drehen lässt uns eintauchen in die Vergangenheit, während Vitija die Bilder mit ihren Erinnerungen konfrontiert und etwa ihre Mutter und ihren Bruder dazu befragt. Dass der Vater, Joschy Scheidegger, in den 1950ern eine illustre kleine Karriere als Nebendarsteller im Schweizer Film gemacht hatte, dient dem privaten Bildfundus als überraschend-amüsantes Supplement.
Den Bildern eines fürsorglichen Vaters, wie Vitija ihn erlebt hat, stehen die teils tragischen Ereignisse um die mehr oder weniger neu entdeckte erste Familie ihres Vaters gegenüber, der er sich von einem Tag auf den andern entzog. Vitija lotet jene Geschehnisse aus, die kein Thema waren und doch die familiäre Atmosphäre beeinflussten. Ebenso die Beziehung ihrer Eltern, die mit dem gesellschaftlichen Wandel der 68er auch ihre Vorstellungen von freier Liebe nebst fester Beziehung zu leben versuchten. Nähe und Distanz sind immer wieder ein Thema – so auch im Spiegel des Mediums, wenn es um den Umgang mit Kamera und Film geht.
So führt uns Eva Vitija in einer spannungsreichen Erzählung an die Chronik ihrer Familie und besonders diejenige ihres Vaters heran, leuchtet Kernereignisse oder auch «Leitmotive» wie etwa den mehrmals auftauchenden blauen Bademantel ihres Vaters aus unterschiedlichen Blickwinkeln aus. Dabei erweist sich der vermachte Schatz an Bildern als wahre Fundgrube. Die Mediatisierung ihres damals jungen Lebens, die, wie ihr Bruder sagt, sie oft der Spontaneität des Augenblicks beraubte, nutzt Vitija nicht nur für ein besseres Verständnis ihres familiären Hintergrunds: Ihr Langfilmdebüt beinhaltet auch eine eindringliche Reflexion ihrer Tätigkeit als Filmemacherin.