Das Ende der Sechzigerjahre war in der westlichen Welt von gesellschaftlichen Umbrüchen geprägt. In der kollektiven Erinnerung strahlen sie in den leuchtenden Farben und im anarchischen Chaos von Flower-Power. In den streng komponierten Bildern von Léa Pool und ihrem Kameramann Daniel Jobin hingegen dominieren Weiss, Schwarz und Grau. Es sind die Farben, in denen sich die Nonnen und Schülerinnen einer Klosterschule für angehende Pianistinnen kleiden. Dennoch ist es ein warmer, möglicherweise sogar verklärender Blick, den Léa Pool zurückwirft. Die Klosterschule, die sie in La passion d’Augustine porträtiert, ist in erster Linie ein Ort der Leidenschaft für die Musik, welche Schülerinnen und Lehrerinnen verbindet. Die Ausbildungsstätte ist durch das veränderte gesellschaftliche und kirchliche Umfeld jedoch gefährdet: Privatschulen einerseits, die Kirche andererseits verlieren an Boden. Die Umbrüche bringen das Lebenswerk von Oberin Augustine trotz reicher Mäzenin und positiver Medienaufmerksamkeit langsam, aber sicher ins Wanken.
Schwester Augustine steht im Zentrum des Klosters und der Handlung, doch Pool erzählt von ihren Anläufen zur Rettung der klösterlichen Musikschule fast beiläufig. Genauso viel Gewicht gibt sie den jungen und älteren Frauen, die sie umgeben: Da ist Augustines hochbegabte, aber aufsässige Nichte, die sich mit einer Mitschülerin anfreundet und ihre ersten Gehversuche im Bereich der Sexualität unternimmt. Da ist aber auch die strenge Französischlehrerin, die nach einer trostlosen Jugend im Kloster einen Ort gefunden hat, an dem sie sich endlich frei fühlt. Entsprechend sieht sie sich und ihren inneren Frieden durch jede Neuerung bedroht. Vor allem aber sind da sämtliche Schülerinnen und ihre Leidenschaft für die Musik. Dargestellt werden sie nicht von Schauspielerinnen, sondern von angehenden Musikerinnen; das Klavier, das man hört, wird von ihnen selbst gespielt.
Dieser vielfädige Plot ist geeignet, die Zuschauer auf Distanz zu halten, genauso wie die Nonnenkostüme, deren Hauben das Gesicht eng umschliessen und den Schauspielerinnen wenig Spielraum lassen. Léa Pool setzt denn auch weniger auf die Figuren selbst als vielmehr auf die Musik, um emotionale Tiefe entstehen zu lassen. Lange lässt sie die Kamera auf den Gesichtern der spielenden oder der zuhörenden Nonnen und Schülerinnen verweilen und schafft auf diese Weise einen Film mit einer unkonventionellen, aber umso eindrücklicheren Emotionalität.