Mit tiefem Dröhnen und gleissendem Flammenmeer beginnt Grozny Blues. Diese ersten Sekunden legen bereits den Tenor von Nicola Belluccis Film fest: Mit kraftvollen Bildern und Klängen erzählt der italienische Dokumentarfilmer von kriegerischer Zerstörungswut, der Unterdrückung durch korrupte Machthaber und politischen Unruhen im tschetschenischen Grosny. Grozny Blues porträtiert Bewohner der Hauptstadt Tschetscheniens, darunter eine Gruppe Frauen, die seit den Neunzigern mit heimlich gedrehten Filmaufnahmen gegen das Vergessen des Leids und der Opfer kämpfen, die die Tschetschenienkriege forderten. Die Frauen besuchen Familien, deren Kinder damals spurlos verschwanden, erzählen von politischer Verfolgung, ökonomischen Schwierigkeiten und dem Emigrantenstrom, der ihr Land gerade verlässt. Dann präsentieren sie die Archivbilder aufgebahrter Leichen, Opfer der jahrzehntelangen Konflikte, darunter auch Kinder. «Ich habe alles verloren», brüllt eine Frau auf Tschetschenisch in die Handkamera. Und dann: «Ich schwöre bei Allah, ich werde terroristische Angriffe verüben.» Die eindrücklichen Aufnahmen zeugen von der immensen Wut und Kampfbereitschaft traditionsbewusster Tschetschenen während der Konflikte, die erst seit 2009 als beendet gelten.
Dem Archivmaterial aus den Neunzigern stellt Bellucci das heutige Grosny gegenüber. Es wurde aufgeräumt, poliert und saniert – wie Warnschilder prangen die Bilder von Putin und Kadyrow an den öffentlichen Plakatwänden. Der scheinbare Gegensatz zwischen dem damaligen und dem jetzigen Tschetschenien dauert in Grozny Blues aber nur einen Moment lang an: Die Vorstellung, dass in die autonome Republik Russlands heute dauerhafter Frieden eingekehrt sei, unterwandert der Film durch die beinah nahtlosen Übergänge, die er zwischen den aktuellen Aufnahmen und dem Archivmaterial schafft. Nur graduelle Unterschiede von Bild- und Tonqualität zeugen hier von der Naht zwischen Krieg und vermeintlichem Frieden. Grozny Blues lässt Tschetscheniens Gegenwart und Vergangenheit ineinanderfliessen, erzählt von Unterdrückung und den bleibenden Schäden, die Kriege immer hinterlassen. So präsentiert Bellucci gekonnt seine Botschaft und kommt ohne erklärendes Voice-over und Gedenktafeln aus. Die täglichen Bedrohungen und Zwänge tschetschenischer Bürger werden in Grozny Blues – trotz gehemmter Meinungsfreiheit und fadenscheinigem Wiederaufbau – deutlich sichtbar.