FESTIVALBERICHTE
Nun gibt es das Zurich Film Festival (ZFF) bereits seit zwölf Jahren. Seit seinen manchmal chaotischen Anfangsjahren hat sich das Festival mittlerweile zu einer konstanten Grösse innerhalb des kulturellen Lebens der Stadt entwickelt. Zwar wird immer wieder einmal gelästert, dass es sich im Grunde nur um einen mehr oder weniger gut getarnten Sponsorenanlass handle, an dem die mehr oder weniger schillernde Filmprominenz über einen grünen statt roten Teppich stolziere; doch spätestens seit dem Umzug auf den Sechseläuteplatz ist die Frage, ob Zürich mit seiner vielfältigen Kinolandschaft überhaupt noch ein Filmfestival brauche, endgültig verstummt. Ich gestehe, dass auch ich stets ein ambivalentes Verhältnis zum ZFF hatte. Trotz Skepsis gegenüber dem manchmal grossspurigen Auftreten des Festivals, fühlte ich mich doch immer wieder vom durchaus spannenden Programm angezogen. Noch nie habe ich mich aber – wie ich das in Locarno immer wieder gerne tue – mit Haut und Haar ins Festivalleben gestürzt. Dieses Jahr soll sich dies ändern. Die Zeit ist reif, unserer schwierigen Beziehung eine neue Chance zu geben. Für sechs Tage will ich das Festival in allen seinen Facetten erleben.
Und so radle ich an einem sonnigen Montag dem See entlang zum Bellevue: Imposant prangt das Festivalzelt, das von Jahr zu Jahr immer grösser wirkt, vom Sechseläuteplatz, wo zahlreiche Passanten auf den verteilten Stühlen sitzen und die warme Herbstsonne geniessen. Dahinter die historische Aussenfassade des Mascottes und dem Cinema Corso, dem Festivalkino für die Gala-Premieren. Ein schwarz gekleideter Mann mit Knopf im Ohr steht neben dem grünen Teppich; in Erwartung der Filmstars, die da noch kommen werden. Ein Hauch von «Cote d’Azur» weht durch die Zwinglistadt. Das ZFF hat zwar keine Piazza Grande, aber ein stimmungsvolles Festivalzentrum gibt’s auch hier.
Der Bezug der Tickets mit einer Akkreditierung verläuft unkompliziert. Für die gewünschten Filme kriege ich noch problemlos Karten. Die 13-Uhr-Vorstellung im Arthouse Piccadilly ist nur etwa zur Hälfte besetzt. Ich kann mir den Platz aussuchen. Erfreulich ist auch, dass die Jury in der Vorstellung sitzt. Das steigert sogleich das Festivalfeeling. Wenn nur diese Lüftung nicht wäre, die einem ständig ins Gesicht bläst, so dass das wohlige Frösteln, in das einem das österreichische Sozialdrama versetzt, auf die Dauer doch ziemlich ungemütlich wird. Und schon kurz darauf sitze ich wieder hier. Nun, bei Europe She Loves (CH, D, AT) von Jan Gassmann, ist der Saal aber derart voll, dass die Lüftung zum Glück keine Chance mehr hat. Dafür zieht mich der Film umso mehr in den Bann; so sehr, dass ich danach eigentlich eine Pause bräuchte. Gerne würde ich den Tag am See ausklingen lassen, doch mein straffes Programm lässt es nicht zu.
Auf direktem Weg geht es ab ins Sihlcity in einen Dokumentarfilm über den fehlbaren amerikanischen Politiker Anthony Weiner, der, sobald er ein Handy in der Hand hält, seine Libido nicht mehr im Griff zu haben scheint. Der Kontrast zwischen den beiden dokumentarischen Filmen könnte stilistisch kaum grösser sein: Auf der einen Seite diese visuell äusserst stimmungsvolle Elegie eines krisengeschüttelten Europas, hier das hektisch montierte Ringen eines gefallenen Mannes, der seine Karriere neu zu lancieren versucht. Und doch fügen sich die Inhalte im Kopf zuletzt zu einer zeitgemässen Momentaufnahme von Menschen im persönlichen Kampf mit den politischen Gegebenheiten zusammen.
So unterschiedlich wie die Filme ist auch das Publikum: Sass man eben noch zwischen Pensionären und Cineasten, so wimmelt es nun plötzlich von gestylten Anzugträgern und Expats, die direkt von der Arbeit kommen. Während meiner Tour begegnete ich allerdings kaum Festivalgängern, die sich einen Film nach dem anderen zu Gemüte führen. Der ‹gemeine Festivalbesucher› scheint vielmehr einzelne Filme zu schauen, die er dafür aber gezielt auswählt. Nicht immer verhält er sich dabei ganz stilsicher; wenn in der Reihe hinter einem eine Zuschauerin fragt, warum denn vor dem Film keine Trailer gezeigt würden oder wenn es in der Doku über das syrische Flüchtlingslager plötzlich nach Popcorn riecht, erkennt der geübte Festivalgänger sofort, dass es sich dabei um einen Anfänger handeln muss. Bei Aquarius von Kleber Mendonça Filho wiederum, dem wunderbaren Wettbewerbsbeitrag aus Brasilien, hat sich offenbar die halbe brasilianische Community Zürichs eingefunden. Das erweist sich als ganz praktisch: Denn als sich der leicht verwirrte Moderator bei den Namen der Hauptdarstellerin und des Regisseurs verhaspelt, kann ihm das Publikum spontan auf die Sprünge helfen.
Die Filmansagen haben sowieso oft einen eigentümlichen Charme. Mitunter hat man den Eindruck, die Moderatoren seien dazu angeregt worden, ihre Ansagen dem Stil des jeweiligen Filmes anzupassen. So versucht der Moderator von Swiss Army Man (Dan Kwan & Daniel Scheinert, USA), das Publikum wie bei einem Rockkonzert zu animieren: «Hey Zurich, how are you!?», ruft er grinsend in die Menge und lässt nicht locker, bis einige zurückjohlen. Für jeden anderen Film wäre eine solch schräge Ansage völlig daneben gewesen; aber für eine Geschichte, in der eine furzende Leiche, gespielt von Harry Potter-Darsteller Daniel Radcliffe, von einem suizidalen jungen Mann (Paul Dano) zu einem Jet Ski, einem Wasserspender und einem Maschinengewehr umfunktioniert wird, passte es irgendwie.
Ein Wermutstropfen sind allerdings die sogenannten «Gala Premieren», die weder in der Akkreditierung noch im Preis des Festivalpasses inbegriffen sind. Damit fallen für den Filmliebhaber immerhin 32 Vorstellungen weg. Das sind mehr als drei Galas pro Tag, die ohne Extra-Ticket nicht besucht werden können. Laut Programmheft wurden für die Gala Premieren «die meist erwarteten Produktionen des Jahres und Filme mit internationaler Starbesetzung» selektioniert. Das klingt schön. Im Normalfall handelt es sich dabei jedoch um relativ gewöhnliche Vorpremieren von Filmen, die oft ohnehin kurz darauf im regulären Kinoprogramm anlaufen.
Wenn die angekündigten Stars auch tatsächlich über den grünen Teppich spazieren, so nennt sich dies «Special Gala». Zuschauer zahlen hier noch einen Aufpreis, weshalb hier die Frage berechtigt scheint, ob die Gala-Premieren tatsächlich fürs Publikum und nicht eher für die Sponsoren ausgewählt wurden. Wer die eingeladenen Stars in einer angenehmeren Atmosphäre erleben will, dem seien die «ZFF Masters» empfohlen: Obwohl das Gespräch mit Ewan McGregor im Filmpodium bereits ausverkauft war, stellte ich mich in die Schlange derer, die sich noch eine Karte erhofften. Und tatsächlich – die alten Festivalhasen kennen das – wurden im letzten Moment noch einige Plätze frei. Zufrieden lauschte ich der lockeren Plauderei. Wobei die Aura des Stars die Worte gleich noch ein wenig weiser erscheinen liessen. Und so trat ich eine Stunde später aus dem Kino mit der befriedigenden Ahnung, dem Geheimnis des Filmemachens etwas näher gekommen zu sein.
In sechs Tagen zeigte mir das Festival viele Gesichter. Aber vielleicht liegt darin auch gerade der spezifische Reiz des Zurich Film Festivals: dass man innert kürzester Zeit ganz vielfältige cineastische Eindrücke mit unterschiedlichsten Menschen sammeln kann. Jenseits des grünen Teppichs hat das ZZF dabei durchaus das Potential zu einem sympathischen Publikumsfestival – jetzt müssten die Macher nur noch konsequent darauf setzen.
Und so radle ich an einem sonnigen Montag dem See entlang zum Bellevue: Imposant prangt das Festivalzelt, das von Jahr zu Jahr immer grösser wirkt, vom Sechseläuteplatz, wo zahlreiche Passanten auf den verteilten Stühlen sitzen und die warme Herbstsonne geniessen. Dahinter die historische Aussenfassade des Mascottes und dem Cinema Corso, dem Festivalkino für die Gala-Premieren. Ein schwarz gekleideter Mann mit Knopf im Ohr steht neben dem grünen Teppich; in Erwartung der Filmstars, die da noch kommen werden. Ein Hauch von «Cote d’Azur» weht durch die Zwinglistadt. Das ZFF hat zwar keine Piazza Grande, aber ein stimmungsvolles Festivalzentrum gibt’s auch hier.
Der Bezug der Tickets mit einer Akkreditierung verläuft unkompliziert. Für die gewünschten Filme kriege ich noch problemlos Karten. Die 13-Uhr-Vorstellung im Arthouse Piccadilly ist nur etwa zur Hälfte besetzt. Ich kann mir den Platz aussuchen. Erfreulich ist auch, dass die Jury in der Vorstellung sitzt. Das steigert sogleich das Festivalfeeling. Wenn nur diese Lüftung nicht wäre, die einem ständig ins Gesicht bläst, so dass das wohlige Frösteln, in das einem das österreichische Sozialdrama versetzt, auf die Dauer doch ziemlich ungemütlich wird. Und schon kurz darauf sitze ich wieder hier. Nun, bei Europe She Loves (CH, D, AT) von Jan Gassmann, ist der Saal aber derart voll, dass die Lüftung zum Glück keine Chance mehr hat. Dafür zieht mich der Film umso mehr in den Bann; so sehr, dass ich danach eigentlich eine Pause bräuchte. Gerne würde ich den Tag am See ausklingen lassen, doch mein straffes Programm lässt es nicht zu.
Auf direktem Weg geht es ab ins Sihlcity in einen Dokumentarfilm über den fehlbaren amerikanischen Politiker Anthony Weiner, der, sobald er ein Handy in der Hand hält, seine Libido nicht mehr im Griff zu haben scheint. Der Kontrast zwischen den beiden dokumentarischen Filmen könnte stilistisch kaum grösser sein: Auf der einen Seite diese visuell äusserst stimmungsvolle Elegie eines krisengeschüttelten Europas, hier das hektisch montierte Ringen eines gefallenen Mannes, der seine Karriere neu zu lancieren versucht. Und doch fügen sich die Inhalte im Kopf zuletzt zu einer zeitgemässen Momentaufnahme von Menschen im persönlichen Kampf mit den politischen Gegebenheiten zusammen.
So unterschiedlich wie die Filme ist auch das Publikum: Sass man eben noch zwischen Pensionären und Cineasten, so wimmelt es nun plötzlich von gestylten Anzugträgern und Expats, die direkt von der Arbeit kommen. Während meiner Tour begegnete ich allerdings kaum Festivalgängern, die sich einen Film nach dem anderen zu Gemüte führen. Der ‹gemeine Festivalbesucher› scheint vielmehr einzelne Filme zu schauen, die er dafür aber gezielt auswählt. Nicht immer verhält er sich dabei ganz stilsicher; wenn in der Reihe hinter einem eine Zuschauerin fragt, warum denn vor dem Film keine Trailer gezeigt würden oder wenn es in der Doku über das syrische Flüchtlingslager plötzlich nach Popcorn riecht, erkennt der geübte Festivalgänger sofort, dass es sich dabei um einen Anfänger handeln muss. Bei Aquarius von Kleber Mendonça Filho wiederum, dem wunderbaren Wettbewerbsbeitrag aus Brasilien, hat sich offenbar die halbe brasilianische Community Zürichs eingefunden. Das erweist sich als ganz praktisch: Denn als sich der leicht verwirrte Moderator bei den Namen der Hauptdarstellerin und des Regisseurs verhaspelt, kann ihm das Publikum spontan auf die Sprünge helfen.
Die Filmansagen haben sowieso oft einen eigentümlichen Charme. Mitunter hat man den Eindruck, die Moderatoren seien dazu angeregt worden, ihre Ansagen dem Stil des jeweiligen Filmes anzupassen. So versucht der Moderator von Swiss Army Man (Dan Kwan & Daniel Scheinert, USA), das Publikum wie bei einem Rockkonzert zu animieren: «Hey Zurich, how are you!?», ruft er grinsend in die Menge und lässt nicht locker, bis einige zurückjohlen. Für jeden anderen Film wäre eine solch schräge Ansage völlig daneben gewesen; aber für eine Geschichte, in der eine furzende Leiche, gespielt von Harry Potter-Darsteller Daniel Radcliffe, von einem suizidalen jungen Mann (Paul Dano) zu einem Jet Ski, einem Wasserspender und einem Maschinengewehr umfunktioniert wird, passte es irgendwie.
Ein Wermutstropfen sind allerdings die sogenannten «Gala Premieren», die weder in der Akkreditierung noch im Preis des Festivalpasses inbegriffen sind. Damit fallen für den Filmliebhaber immerhin 32 Vorstellungen weg. Das sind mehr als drei Galas pro Tag, die ohne Extra-Ticket nicht besucht werden können. Laut Programmheft wurden für die Gala Premieren «die meist erwarteten Produktionen des Jahres und Filme mit internationaler Starbesetzung» selektioniert. Das klingt schön. Im Normalfall handelt es sich dabei jedoch um relativ gewöhnliche Vorpremieren von Filmen, die oft ohnehin kurz darauf im regulären Kinoprogramm anlaufen.
Wenn die angekündigten Stars auch tatsächlich über den grünen Teppich spazieren, so nennt sich dies «Special Gala». Zuschauer zahlen hier noch einen Aufpreis, weshalb hier die Frage berechtigt scheint, ob die Gala-Premieren tatsächlich fürs Publikum und nicht eher für die Sponsoren ausgewählt wurden. Wer die eingeladenen Stars in einer angenehmeren Atmosphäre erleben will, dem seien die «ZFF Masters» empfohlen: Obwohl das Gespräch mit Ewan McGregor im Filmpodium bereits ausverkauft war, stellte ich mich in die Schlange derer, die sich noch eine Karte erhofften. Und tatsächlich – die alten Festivalhasen kennen das – wurden im letzten Moment noch einige Plätze frei. Zufrieden lauschte ich der lockeren Plauderei. Wobei die Aura des Stars die Worte gleich noch ein wenig weiser erscheinen liessen. Und so trat ich eine Stunde später aus dem Kino mit der befriedigenden Ahnung, dem Geheimnis des Filmemachens etwas näher gekommen zu sein.
In sechs Tagen zeigte mir das Festival viele Gesichter. Aber vielleicht liegt darin auch gerade der spezifische Reiz des Zurich Film Festivals: dass man innert kürzester Zeit ganz vielfältige cineastische Eindrücke mit unterschiedlichsten Menschen sammeln kann. Jenseits des grünen Teppichs hat das ZZF dabei durchaus das Potential zu einem sympathischen Publikumsfestival – jetzt müssten die Macher nur noch konsequent darauf setzen.