SASCHA LARA BLEULER

PAUSE (MATHIEU URFER)

SELECTION CINEMA

Sami wurde von seiner Freundin verlassen und übernachtet in seinem Auto. An einer Tankstelle spricht ihn eine hübsche Fremde an, und eine neue grosse Liebe findet ihren Anfang. Doch anstatt die konventionelle Boy-meets-girl-Geschichte weiterzuspinnen, macht die Er­zählung einen grossen Sprung und setzt erst vier Jahre später wieder ein. Routine überschattet mittlerweile die Romantik der Beziehung und die ehrgeizige Juristin Julia findet Samis lethargisches Künstlerdasein nicht mehr sexy, sondern nur noch nervig. Sie flüchtet sich in ihre Arbeitswelt, eine Gutmenschenorganisation für Bio-Baumwolle, in der gemeinsamen Wohnung herrscht die dicke Luft des Unausgesprochenen. Sami verbringt die Tage bei seinem besten Freund Ferdinand im Altersheim, wo sie zusammen Lieder komponieren, trinken, philosophieren und Kette rauchen. Der krebskranke Mann versucht Sami zu beruhigen, denn solange die Frauen keine «Pause» machen wollten, sei alles in Ordnung. Doch genau dies schlägt Julia am nächsten Tag vor. Sie brauche Zeit zum Nachdenken und ziehe für einige Wochen zu einer Freundin. Sami erträgt die Unsicherheit nicht, verfällt in eine Depression und versucht die Leere mit alkoholischen Eskapaden zu füllen.

Pause ist ein sorgfältig recherchiertes Porträt der wohlstandsverwahrlosten Generation «Projekt», die vor lauter individueller Erfüllungsmöglichkeiten von den ganz normalen Alltagsproblemen überfordert ist. Baptiste Gilliéron verkörpert mit seinem verschlafenen Johnny-Depp-Aussehen perfekt die Mischung aus Verlorenheit und musikalischer Begabung der Hauptfigur Sami. Ganz der melancholische Künstler, der stets hadert mit seiner Antriebskraft, wecken ihn erst das Leiden und die Angst, seine Geliebte an einen anderen Mann zu verlieren, aus seiner Lethargie. Mit Hilfe der groschenpsychologischen Tipps seines Mentors findet er zu musikalischer Inspiration und seltsamerweise auch wieder zu Julia. Dramaturgisch gesehen ist Samis Figur ein Risiko, denn er entwickelt sich nicht bedeutend weiter. Obwohl oder gerade weil Sami ein unaufgeregter Antiheld ist, dergleichen wir aus unserem Leben zu kennen meinen, berührt er. Seine konsequente Unfähigkeit, erwachsen zu werden, erzeugt immer wieder zutiefst menschliche und komische Momente. Und wie so oft bei solch schlafwandlerischen Künstlern kristallisiert sich, zuerst nur ungeschliffen und bruchstückhaft, ein richtig guter Ohrenwurm aus seinen nächtlichen Schreiborgien heraus. «When the stars are shaking» und auch die anderen von Regisseur Urfer geschriebenen Country-Songs sind so süffig herzerwärmend, dass sie einen sanft über die teils stockende Narratologie dieses Erstlings hinwegtragen.

Sascha Lara Bleuler
*1977, Schauspielausbildung am Lee Strasberg Theatre & Film Institute in New York. Studium Anglistik, Filmwissenschaft und Fran­zösi­sche Literatur an der Universität Zü­rich. Lehrtätigkeit in Englisch, Filmtheorie und Schauspiel. Freie Journalistin für Filmzeitschriften. Kuratorin von Filmreihen. Programmation der Internationalen Kurzfilmtage Winterthur und des Dokumentarfilmfestivals Visions du Réel. Schauspielerin in Film- und Theaterproduktionen. Lebt in Zürich und Tel Aviv.
(Stand: 2017)
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