DORIS SENN

ABOVE AND BELOW (NICOLAS STEINER)

SELECTION CINEMA

Above and Below führt uns in drei Lebenswelten: unter, auf und über der Erdoberfläche. Lebenswelten von Aussteigern, die ihr früheres Leben radikal hinter sich gelassen und sich in einer Parallelwelt eingerichtet haben. Das sind Lalo, «Godfather» genannt, Rick und Cindy, die in den Tunnels unter der Wüstenstadt Las Vegas hausen. Wenn sie ein paar Dollars übrig haben, machen Rick und Cindy sich schön und gehen zocken. Ihr Geld verdienen sie durch Gelegenheitsjobs – ansonsten durchforsten sie die Abfälle nach Brauchbarem um es sich in den unterirdischen Flutkanälen gemütlich zu machen. Auf Zeit, denn das nächste Unwetter kommt bestimmt, und dann wird das mühevoll gesammelte Hab und Gut mit den Fluten aus den Kanälen wegschwemmt, und sie müssen wieder bei Null anfangen …

Der rund 50-jährige Dave wiederum hat sich in einem alten Militärbunker in der kalifornischen Steppenlandschaft eingerichtet. Er ist Truckfahrer, Musiker, Überlebenskünstler. Zwei zerbrochene Ehen liegen hinter ihm. Der Kontakt zu seinen Töchtern liegt brach, doch er schwärmt von seiner Enkelin, die er allerdings einzig von den geposteten Fotos auf Facebook her kennt. Und schliesslich ist da noch April: eine junge Irak-Veteranin mit schwieriger Familiengeschichte, die sich nun als Mitglied der Mars Society engagiert. Sie und andere mehr bereiten sich in ihrer Freizeit in der roten Wüste Utahs auf die Besiedlung des Mars durch Erdbewohner vor. Alle diese Porträts sind mit einer Auswahl wahrhaft unirdisch schöner Landschaften verbunden: die Katakomben unter der Glitzerstadt Vegas, die Weite Kaliforniens mit ihren riesigen Sonnenuntergängen, die karge Wüstenlandschaft.

Die Idee zu seinem neusten Werk kam Steiner bei einem Studienaufenthalt in San Francisco. Aus seiner Idee kristallisierte sich eine «Trilogie» von Geistern, Cowboys und Aliens heraus. Und so wähnen wir uns in den Röhren unter Vegas in einem wahnwitzigen Thriller, in dem ein kleiner Rest der Menschheit ums Überleben kämpft. Oder dann in einem Western, in dem Dave als einer der letzten Gerechten einsam auf seiner «Farm» sein Leben verbringt. Oder in einem Science-Fiction-Film, in dem Menschen in improvisierten Raumanzügen und mit nummerierter Box auf dem Rücken ihr Training in den kahlen Felsbergen absolvieren, um im Weltraum zu bestehen.

Above and Below, der zweite lange Dokfilm von Nicolas Steiner nach Combat des Reines (2011), ist dank der Kamera von Markus Nestroy von einer wunderbaren Visualität, die nicht nur die faszinierenden Terrains, das Dunkel der Wasserkanäle oder den Lichterteppich von Las Vegas ausgiebig zelebrieren, sondern auch respektvoll seine Protagonisten und ihr Charisma einzufangen vermag. Eine brillante Montage verschränkt die drei Universen und Erzählstränge fliessend, verknüpft die verschiedenen Welten mit augenzwinkernden Match Cuts und lässt sie – im Verbund mit einer sphärischen Musik – zu einem nachdenklich stimmenden Epos über das Leben, die Menschheit, den Kosmos werden.

Doris Senn
Freie Filmjournalistin SVFJ, lebt in Zürich.
(Stand: 2021)
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