SASCHA LARA BLEULER

DIE BÖHMS (MAURIZIUS STAERKLE-DRUX)

SELECTION CINEMA

Aus der Gondel eines Riesenrads schwebt Gottfried Böhms Blick über seine Heimatstadt Köln, die zu einem nicht unbeträchtlichen Teil von ihm und seinen Söhnen gebaut wurde – die imposanten betonlastigen Bauwerke sind von hoch oben gut sichtbar. «Die Arena von Peter da hinten, ganz schön», sagt er voller Vaterstolz. Weiter links rückt die modern geschwungene Moschee von Sohn Paul ins Bild. Die Vollendung des modernen Bauwerks wurde durch die politische Brisanz immer wieder hinausgezögert, was Paul noch heute zur Verzweiflung bringt. Den dritten Architektensohn Stephan zieht es gerade aufgrund des engstirnigen Baudenkens Deutschlands nach China, wo die logistischen Prozesse weniger zermürbend sind und wo nicht für die Ewigkeit gebaut wird. Das ermögliche eine grosse künstlerische Freiheit. Diese wurde der Böhm-Dynastie aber auch in ihrer Heimat immer wieder gewährt und hier baut man, um erinnert zu werden, für die Unsterblichkeit. «Ob man das mag, unsterblich sein?», sinniert der heute 95-jährige Gottfried im Gespräch mit seiner Frau Elisabeth. Sie, ebenfalls gelernte Architektin, hat ihre beruflichen Ambitionen für das Familienwohl zurückgestellt – nicht ohne Groll, wie man ihren bitteren Bemerkungen anmerkt. Als härteste Kritikerin ihres Mannes, hat sie ihn dorthin gebracht, wo er sein wollte, an die Spitze der deutschen Architektur. Nie gefällig, sondern stets erfinderisch und unkonventionell, entwarf er die unterschiedlichsten Gebäude, so die Kirche Christi Auferstehung, mit ihren harmonischen Rundungen aus Ziegelstein und Beton, oder auch das futuristische Rathaus von Bensberg. Der kritische und offene Geist der Mutter habe auch ihren Stil stark beeinflusst, erzählen die Söhne. In gegenseitigem Respekt werden auch nicht selten auftretende Konkurrenzsituationen diskutiert und gelöst, emotionale Ausbrüche scheint die gelassene Mentalität der Böhms nicht zuzulassen. Da wird höchstens Mal eine Tür etwas vehementer geschlossen. Über den Krieg spricht Gottfried nicht und sein Schweigen wird akzeptiert. Auch der seit 50 Jahren angestellte Gärtner lässt sich durch nichts aus der Ruhe bringen – ein meditativer Beobachter, der bestimmt mehr weiss, als er preisgibt.

Die Kamera passt sich dem unaufgeregten Rhythmus im Hause Böhm an, spürt den psychologischen Bausteinen der Familiendynamik nach und wird neben der Hommage an die originelle Architektur der Böhms auch Zeuge einer berührenden Liebesgeschichte. Als Elisabeth stirbt, wird ihre schmerzliche Abwesenheit auch filmisch festgehalten. Gottfried Böhm sitzt nach ihrem Tod verloren in seinem Arbeitszimmer, baut aus Lehm das Gesicht seiner Geliebten nach und setzt ihr mit tränenden Augen ein Denkmal.

Sascha Lara Bleuler
*1977, Schauspielausbildung am Lee Strasberg Theatre & Film Institute in New York. Studium Anglistik, Filmwissenschaft und Fran­zösi­sche Literatur an der Universität Zü­rich. Lehrtätigkeit in Englisch, Filmtheorie und Schauspiel. Freie Journalistin für Filmzeitschriften. Kuratorin von Filmreihen. Programmation der Internationalen Kurzfilmtage Winterthur und des Dokumentarfilmfestivals Visions du Réel. Schauspielerin in Film- und Theaterproduktionen. Lebt in Zürich und Tel Aviv.
(Stand: 2017)
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