Keuchend quält sich der Mann auf einem Velo den Berg hinauf. Wesentlich entspannter tritt die Frau in die Pedale. Sie wird leise surrend von einem Elektroantrieb unterstützt. Zunächst wird synchron gepinkelt, dann folgt die Rauchpause. Doch während er sich eine konventionelle Zigarette anzündet, zieht sie an einer elektrischen Zigarette. Auch wenn die Landschaft zunächst noch so idyllisch scheinen mag, diese Gegensätze lassen schnell erahnen, dass die Beziehung alles andere als harmonisch ist.
«Ha Lust uf Sex», erklärt sie beiläufig. Eher verdattert nimmt er die Aufforderung zur Kenntnis und fragt verwundert: «Jetzt?!» Ja, genau, hier und jetzt wünscht sie es. Danach geht es für ihn auf seinem Velo wieder atemlos weiter gegen den topografischen Widerstand, während sie auf Knopfdruck noch ein wenig mehr Antrieb erhält. Dass diese Spannung zwischen analog und digital auf der weiteren Fahrt zu immer mehr Reibereien führen wird, verwundert kaum. Diese Differenzen in den technologischen Vorlieben sorgen schon bald dafür, dass sich die Wege von Mann und Frau trennen. Sie ist vorausgefahren und muss alleine in einem Hotel übernachten. Er wird derweil bei der Übernachtung im Zelt beinahe von Russen in einem Minibus überfahren. So setzt sich die Entfremdung von Mann und Frau stetig fort.
Trockener Humor und eine trostlose Stimmung, die an Filme von Aki Kaurismäki erinnert, dominieren den Kurzfilm Abseits der Autobahn von Rhona Mühlebach. Lustvoll inszeniert sie den unvermeidbaren Zerfall einer Beziehung auf offener Strecke. Die Szenen dieser verwitterten Ehe sind geprägt von eingespielten Ritualen und gegenseitiger Langeweile. Die letzte Gemeinsamkeit ist dabei noch die Vorliebe für Bloody Marys. Doch ansonsten ist die Leidenschaft füreinander erloschen. Die Konversationen bleiben einsilbig, ausser es gibt eine Gelegenheit, sich Vorwürfe an den Kopf zu werfen. Mühlebach beobachtet mit feinem Gespür diese schrittweise Auflösung des labilen Verhältnisses. Eingebettet in die teilweise karge Landschaft, in der noch der letzte Rest des winterlichen Schnees vor sich hin schmilzt, kämpfen sich ihre Protagonisten durch immer trüberes Wetter. Die äusseren Bedingungen lassen vermuten, dass dieser Ausflug in die Berge wohl die letzte gemeinsame Unternehmung sein wird. Trotz der betrüblichen Stimmung zwischen den Hauptfiguren entwickelt die Inszenierung von Mühlebach eine äusserst reizvolle Sogwirkung, die das Publikum vorzüglich zwischen Empathie und bedachtsamer Heiterkeit unterhält.
Am Festival del Film Locarno erhielt Mühlebach im Wettbewerb Pardi di domani die Auszeichnung für das beste Schweizer Nachwuchstalent. An den Internationalen Kurzfilmtagen Winterthur wurde sie für ihre zartbittere Komödie mit dem Publikumspreis des Schweizer Wettbewerbs ausgezeichnet. Ausserdem entschied sie den Wettbewerb Upcoming Talents der Solothurner Filmtage für sich.