DORIS SENN

DAWN (ROMAN WYDER)

SELECTION CINEMA

Dawn ist ein Psychodrama, angesiedelt 1947 in Palästina, das damals unter britischer Besatzung stand, während Zionisten für einen Staat Israel kämpften. Mehrheitlich in nur einem Raum gedreht und die Dauer einer Nacht umspannend, handelt Romed Wyders Film von vier Männern und einer Frau – Mitgliedern der zionistischen Widerstandsgruppe –, die einen britischen Offizier als Geisel halten, nachdem einer der Ihren von den Briten gefangen wurde und vor der Hinrichtung steht. Der 19-jährige Elisha, der in Paris «angeheuert» wurde, um die zionistische Sache zu unterstützen, wurde «auserwählt», die Exekution des Offiziers zu vollziehen, sollte es bis zur Morgendämmerung (daher der Titel) zu keinem Austausch kommen.

Dawn basiert auf dem gleichnamigen Roman – dem mittleren Teil einer Trilogie – aus dem Jahr 1961 des zionistischen Schriftstellers Elie Wiesel (geboren 1928 in Rumänien und selbst Holocaust-Überlebender). Der Westschweizer Regisseur Romed Wyder, der sein Debüt mit dem charmanten Pas de café, pas de télé, pas de sexe (1999) machte, gefolgt vom Polit-Thriller Absolut (2004), wagt sich damit in einer internationalen Koproduktion an ein psychologisch und philosophisch hochkomplexes Thema. Der Untertitel des Films, «Eli­shas Ent­scheidung», umreisst den Fokus des Films: das Dilemma der Hauptfigur, den Mord zu vollziehen. Elishas Erlebnisse als Holocaust-Überlebender, die in Flashbacks aufscheinen, werfen insbesondere ein Schlaglicht auf die Problematik von Opfer und Täter, Sühne und Rache, Moral und Ethik und fragen nach den menschlichen Grundwerten mit Blick auf ein übergeordnetes Ziel und vor dem Hintergrund der Judenvernichtung im Zweiten Weltkrieg.

Dies zu vermitteln, gelingt dem Film aber trotz solider schauspielerischer Leistungen nur ansatzweise. Der Plot vermag sich kaum aus seiner bühnenmässigen Anlage lösen: nicht das Setting, das grösstenteils auf einem Huis clos basiert, aber auch nicht die Charaktere, die sich und ihre ideologischen Positionen schablonenhaft präsentieren. So vermag auch der Zürcher «Shootingstar» Joel Basman die Selbstzweifel Elishas und seine wiederkehrende «Begegnung» mit den Geistern der Vergangenheit nur bedingt zu verkörpern: Für die emotionale Palette fehlt es da doch an Intensität und Differenziertheit.

So gewinnt der Film eigentlich erst mit dem kurzen Epilog an Brisanz – nachdem Elisha die Erschiessung vollzogen und sich, nicht ohne grossen Druck, für die «Utopie» entschieden hat. Anhand von Archivbildern sieht man dort die vergangenen sechzig Jahre im Eildurchlauf – die Gründung des Staates Israel, Krieg, Intifada, Siedlungs- und Mauerbau. Ei­ne endlose Spirale der Gewalt, die den Glau­ben an jenes übergeordnete Ziel und die «Zweckmässigkeit» des damit verbundenen Terrors bis heute Lügen straft.

Doris Senn
Freie Filmjournalistin SVFJ, lebt in Zürich.
(Stand: 2021)
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