«Als ich hier im Dorf ankam, war ich eine Schönheit, und jetzt – schau mich an», schnauft eine ältere Frau mit einem zerfurchten, aber immer noch hübschen Gesicht. Sie kauert auf einem Teppich von Reiskörnern, die sie flink mit einem Kartonblatt sortiert. Ihre schon zur Hälfte weiss nachgewachsenen hennagefärbten Haare leuchten im Sonnenlicht.
Mulhapar ist ein 600-Seelen-Dorf im nördlichen Pakistan, wo eine Mehrheit von Muslimen mit einer Minderheit von Christen in scheinbarer Harmonie lebt. Es sind unaufgeregte Alltagsmomente, bruchstückartige Gespräche und insbesondere Bilder von Menschen bei der Arbeit, die der Regisseur Paolo Poloni in Mulhapar zu einer bildschönen, unkommentierten Collage verwebt. Zurückhaltend beobachtet er das Ökosystem eines Dorfes, dessen Bewohner, bedingt durch ihren gesellschaftlichen Status, mit sehr unterschiedlichen Realitäten konfrontiert sind. Noch unbeschwert plappern zwei Teenager-Mädchen in die Kamera; Marvi ist Muslima, Somera Christin, doch beide scheren sich herzlich wenig um ihren religiösen Hintergrund. Die Freundinnen gehören zu den mittellosen Familien in Mulhapar; der auf den Reisfeldernerwirtschaftete Tageslohn wird mit Putzarbeiten bei den reicheren Familien ein wenig aufgebessert. In beobachtend gefilmten Szenen werden das finanzielle Gefälle und die Jahrzehnte alte Hackordnung zwischen den Bewohnern spürbar: Während der muslimische Grossgrundbesitzer, der zu den fünf wohlhabenden Sippen gehört, dem christlichen Mädchen gönnerisch einen Zustupf für das bevorstehende Weihnachtsfest zusteckt, wischt deren Mutter mit vollem Körpereinsatz den Fussboden.
Die ästhetischen Tableaus lassen einen zuweilen die Härte der Arbeit und der Lebensumstände, denen die Menschen hier ausgesetzt sind, vergessen. Das Wechselspiel zwischen milchigem Morgennebel, gleissender Mittagssonne und schliesslich der Abenddämmerung mit ihrem Schattenwurf auf die mit Wäsche behängten Dächern ist voller Poesie. Da steht ein Maler in weissem Overall auf einer hohen weissen Leiter und weisselt eine graue Wand; ein Rechteck über dem Mauerstück rahmt den wolkenfreien Himmel. Das Bild ist von perfekter Farbkomposition, und doch möchte man glauben, dass Poloni, der für diesen Film selbst die Kamera schulterte, hier ganz zufällig vorbeikam. Mit seinem dichten instrumentalen Klangteppich schrammt der Film zwar zuweilen knapp am Ethnokitsch vorbei und die Aufnahmen von Fussbälle nähenden Pakistanis untermauern etwas simplifizierend die These des bösen West-Kapitalismus. Trotz diesen «Gutmensch-Momenten» gelingt Poloni aber über weite Strecken ein technisch solides, poetisches Porträt eines Dorfes – fernab der gewohnten düsteren Medienberichte über dieses konfliktgebeutelte Land.