«Seit der Geburt bin ich seltsam ...», singt der Travestiekünstler Röbi Rapp (Sven Schelker) kokett. So fühlt sich wohl auch der junge Französischlehrer Ernst Ostertag (Matthias Hungerbühler), als er dem Star der Bewegung «Der Kreis» gebannt zuhört. Beflügelt von der Auseinandersetzung mit der gleichnamigen Zeitschrift, besucht Ernst Mitte der 1950er Jahre zum ersten Mal eine der legendären Ballnächte im Zürcher Theater Neumarkt und verliebt sich in den gleichaltrigen Mann auf der Bühne. Diese Liebesgeschichte bildet den Brennpunkt für Stefan Haupts neuen Film.
Das Skript könnte man kaum besser anlegen: Zwei Liebende – der eine aus dem liberaleren Theatermilieu, der andere aus gutbürgerlicher Familie, der seine sexuelle Orientierung verstecken muss, um seine Stelle nicht zu verlieren – kommen, und bleiben, gegen alle Widrigkeiten zusammen. Stefan Haupts Docufiction ist aber weit mehr als ein bewegender Liebesfilm. Wenn auch bei weitem nicht öffentlich akzeptiert, legalisierte 1942 ausgerechnet das Land, das erst ab den 1970er Jahren das Frauenstimmrecht einführte, als erster europäischer Staat die Homosexualität. Durch die Zwinglistadt wehte – zwar nur vorübergehend und im Versteckten – ein mondäner und freigeistiger Wind. Dank der Untergrundorganisation und der gleichnamigen international gestreuten dreisprachigen Publikation, die politische Aufsätze, erotische Illustrationen und Poesie veröffentlichte, wurde «Der Kreis» zum wichtigsten Sprachrohr der Schwulenbewegung europa-, wenn nicht weltweit. Um 1960 aber, schwang in Zürich das Pendel für die Homosexuellen zurück. Katalysator waren die berüchtigten «Schwulenmorde» im Stricher-Milieu. Von nun an herrschte polizeiliche Willkür, und statt Toleranz breitete sich Repression aus. Die Bewegung «Der Kreis» wurde zerschlagen und die Publikation der Zeitschrift eingestellt.
Ähnlich wie bei Verliebte Feinde wird hier also nicht nur eine Geschichte zweier Liebender erzählt, sondern ein brisantes, aber kaum bekanntes Kapitel Schweizer Emanzipationsgeschichte. Obschon ursprünglich nicht als Docufiction geplant, erweist sich diese Form als geglückte Kombination: Originaldokumente, kaum gesehenes Archivmaterial der filmtitelgebenden Zeitschrift und die Stimmen der gealterten Zeitzeugen sorgen für die verbürgte historische Verankerung. Erst dadurch wird die gesellschaftsgeschichtliche Tragweite dieser individuellen Liebesgeschichte überhaupt fassbar. Nicht nur, weil «Röbi und Ernst» als erstes gleichgeschlechtliches Paar ihre Partnerschaft 2004 in Zürich eintragen liessen, greift der Film über die Blütezeit und die Zerschlagung einer richtungsweisenden Bewegung in die Gegenwart. Der Kreis ist auch ein gemeingültiges und hochaktuelles Plädoyer für die vorbehaltlose Akzeptanz von sozialen Minderheiten – und für die Liebe.