JULIAN LUCKS

BILDER DES BERAUSCHTEN FAHRENS — ZUR GESCHICHTE EINER AUDIOVISUELLEN METAPHER

ESSAY

Sinnbildliche Kombinationen von Drogenerfahrung und Fahrerlebnis begleiten Rauschdarstellungen schon seit den Anfängen des Erzählfilms, wobei sie – wie jede Verarbeitung kultureller Stoffe1 – die jeweils zum Gegenstand vorherrschenden Gesellschaftsdiskurse bzw. ihre gegenkulturellen Entsprechungen reproduzieren, kommentieren, umformulieren und auf diesem Wege schliesslich mitgestalten. Im Zuge ihrer Auseinandersetzung mit der kulturellen Dimen­sion audiovisueller Metaphern2 beobachtet auch Katrin Fahlenbrach, dass diese häufig in einem evaluativen Zusammenhang mit Themen, Meinungen und Werten stehen, die in der Medienöffentlichkeit artikuliert werden.3 Beispielsweise können zeitgenössische Rauschkonzepte mit parodistischen Mitteln demontiert werden.

So zeigt der frühe Stummfilm Dream of a Rarebit Fiend (Edwin S. Porter, Wallace McCutcheon, USA 1906), wie kleine Teufel mit schwerem Gerät im Kopf eines stark alkoholisierten Bonvivants herumfuhrwerken, bis jener, sich verzweifelt an sein Bettgestell klammernd, über die Dächer der Stadt zu brausen wähnt. Im Vordergrund dieser Metapher steht zwar sicherlich die Emphatisierung eines mit dem Rausch einhergehenden motorischen und perzeptiven Kontrollverlusts, wie er schon in der Etymologie des deutschen Wortes anklingt und sich bis in den heutigen Sprachgebrauch verschleppt hat (mhd. rûsch: 1. indifferente akustische Wahrnehmung, 2. ungestüme Bewegung). Andererseits war sie für zeitgenössische Zuschauer auch als eine Veralberung der radikalen Standpunkte des erstarkenden temperance movement lesbar – ironisiert durch Bezugnahme auf ein frühneuzeitliches Hexenmotiv, demzufolge die von Satan mit magischer Salbe versorgten Hexen nächtliche Seelenausfahrten auf ihren Besen unternehmen.4

Wie hier bereits deutlich wird, ist das Bewegungselement des Rauschs für die Metapher des berauschten Fahrens naturgemäss von zentraler Bedeutung, die Form seiner Funktionalisierung allerdings abhängig davon, welche Implikationen das Verhältnis zwischen Drogenkonsum und dem vom jeweiligen Film entworfenen normativen Wertesystem bereithält. Nach Georg Seesslen kommen Rauschmittel in Kino-Erzählungen in zwei voneinander getrennten Diskursen vor: als gesellschaftliches Problem und als subjektives Empfinden.5 Ein berühmtes Beispiel für die Metaphorisierung einer subjektiven Drogenerfahrung stammt aus Pulp Fiction (Quentin Tarantino, USA 1994), wo Vincent Vegas im Licht der vorbeiziehenden Laternen gespenstisch maskenhaft erscheinende Gesichtszüge signalisieren, dass er dank des Kraftstoffs Heroin eher introspektive Landschaften durchfährt als die Strassen von Los Angeles. Historisch dominierte jedoch der erstgenannte Diskurs die Filmlandschaft bis in die 60er Jahre hinein. In den USA nahm mit dem Harrison Narcotics Tax Act 1914 der mit zunehmender Kriminalisierung von Betäubungsmittelkonsumenten verbundene war on drugs seinen Ausgang. Filmschaffende betraf der Konflikt spätestens seit 1934, als der Dachverband der grössten US-amerikanischen Produktionsfirmen die Beachtung des Hays Code zu forcieren begann, durch den allen Filmen mit moralisch inakzeptablen Inhalten – wozu nun auch die Darstellung von Drogenmissbrauch zählte – ein genereller Ausschluss aus dem Programm der Mainstream-Kinos drohte.6 Gleichzeitig beschworen Printmedien das Szenario einer durch Marihuana-Konsum unrettbar verdorbenen Jugend. In der Konsequenz bedienten – angesichts des Produktionskodex in hoher Zahl aus dem Boden geschossene – unabhängige Exploitation-Kinos die von Sensationsgier und kollektiver Hysterie geprägte Öffentlichkeit mit kostengünstig produzierten Schockern im Gewand moralistischer Lehrstücke. Formelhafte Szenen von im Drogenwahn unschuldige Passanten überfahrenden Rasern, wie im mittlerweile zum Kultfilm avancierten Tell Your Children (Louis Gasnier, USA 1936), wurden emblematisch für die gesamtgesellschaftliche Bedrohung, die von der dämonisierten Pflanze ausging – und zwar Jahrzehnte vor den ersten Don‘t drink and drive-Kampagnen.7 Noch in 99 Francs (Jan Kounen, F 2007) wird das Motiv auf sehr ähnliche Weise verwendet, wenn im Verlauf einer verstörenden Spritztour mehrere Fussgänger unter irrem Gekicher des berauschten Fahrers brutal ums Leben kommen.

Beat Generation

Zu einer Zeit, in der sich Hollywood fest im Griff einer Oligarchie grosser Studios befand, die im reaktionären Klima des McCarthyismus darum bemüht war, ihre Produktionen von nonkonformistischen Inhalten freizuhalten8, leiteten die literarischen Werke eines weitgehend unabhängig schreibenden und publizierenden Freundeskreises die Popularisierung alternativer Drogenkonzepte ein. Schon als die Gruppe im Jahr 1952 mit dem Traktat This is the Beat Generation von Clellon Holmes erstmals als eine Art Bewegung in Erscheinung trat, entstand der Eindruck, zwischen «den Beats […] und dem durch Drogen hervorgerufenen Rausch – als subtile Revolte ohne Narrativ – bestehe kein Unterschied»9. 1953 schrieb William S. Burroughs in Junkie – Confessions of an Unredeemed Drug Addict über Heroin: «Junk is not a kick. Junk is a way of life» und proklamiert damit die paradoxe Autarkie der in Abhängigkeit aufgehenden Identität.10 Wiesen die einzelnen Autoren dem Rausch auch unterschiedliche Rollen zu, so zementierte Jack Kerouacs bahnbrechender Erfolg On the Road schliesslich für viele seinen Entwurf des rastlos-hedonistischen Lebensstils einer neuen Bohème und machte die Figur des Dean Moriarty zu ihrem tragischen Helden, der unbekümmert mit allerlei Drogen experimentiert, eine Sexualität jenseits der Normen lebt, sich hemmungslos Exzessen hingibt und auf ständiger Entdeckungsreise befindet.

«Yes! You and I, Sal, we’d dig the whole world with a car like this because, man, the road must eventually lead to the whole world. Ain’t nowhere else it can go – right?»11 Was Moriarty hier artikuliert, erinnert an das Kernanliegen des romantischen Subjektivismus, die Totalität der Schöpfung unmittelbar erfahrbar zu machen, allerdings nicht durch das Studium der sich selbst fühlenden Seele, sondern durch Bewegung. Wenn unvermittelte Erfahrung an die individuell wahrgenommene Umgebung gebunden ist, bedeutet der Stillstand in bürgerlicher Sesshaftigkeit auch eine Erblindung gegenüber der Welt. Dagegen übernimmt der für den Ausbruch aus den starren Strukturen erforderliche Geschwindigkeitsimpuls – diese ungestüme Bewegung – die Funktion eines alles verdichtenden siebten Sinns, der ekstatische Empfindungen erst ermöglicht. Der solcherart hinter «die Fassade des bürgerlichen Lebens»12 blickende Homo viator scheint im schnellen Fahrzeug dem Traum einer Aufhebung der kosmischen Dualität zwischen Subjekt und Objekt auf der Spur. Wie Paul Virilio in seinem dromoskopischen Modell beschreibt, werden die Fenster des Autos zu inwärts gerichteten Projektionsflächen, dem kinematographischen Apparat nicht unähnlich, die dem Fahrer eine durch den eigenen Druck auf das Gaspedal verursachte Schrumpfung der Welt suggerieren.13 Mit zunehmender Geschwindigkeit wirkt die Welt kleiner und erfahrbarer, gleichzeitig kündigt sich die Möglichkeit ihres Verschwindens an. Doch der vagen Aussicht, im ständigen «Unterwegs» schliesslich einen Nicht-Ort ausserhalb von Raum, Zeit und Kausalität zu erreichen bzw. zu erschaffen, wird kein mystizistisches Erleuchtungsversprechen im Sinne eines künstlichen Paradieses abgerungen; die Maxime des rauschhaften Seins – der teils undifferenzierbaren Dreifaltigkeit aus Geschwindigkeits-, Drogen- und Liebesrausch – ist sich Selbstzweck, adelt den Beatnik durch eine abstrakte Purifikation seines ziellosen Handelns: «We were leaving confusion and nonsense behind and performing our one and noble function of the time, move».14 Lediglich kurze Momente absoluter Ekstase lassen das heilige Nichts unerschaffener Leere erspüren, ohne dass daraus irgendwelche bleibenden Erkenntnisse zu gewinnen wären.15

Mehr noch als das Buch hebt die erstaunlich lang ausgebliebene Verfilmung von On the Road (Walter Salles, USA 2012) auch die selbstzerstörerischen Implikationen dieser atemlosen Lebensweise hervor. So prophezeit hier die fiktionalisierte Version des sich im Spätwerk verhältnismässig drogenkritisch gebenden Allen Ginsberg, dass das Runterkommen nach dem Abheben mit einem harten Aufprall verbunden sein wird («This high is a mirage. You’ll all come flying off the West Coast and crashing down on earth»). Gleichsam als furioser Abgesang auf das Leben für den Exzess ist der sich stark an Cut-Up-Techniken und surrealistischen Tendenzen der Beat-Ästhetik orientierende Experimentalfilm Chappaqua (Conrad Rooks, USA 1966) zu begreifen, der aus konsequent subjektivierter Perspektive die zerfaserte Bewusstseinswelt eines zwischen Alkoholismus und Drogensucht oszillierenden Schriftstellers abbildet. Dessen Geschichte beginnt an jenem Punkt geistigen Verfalls, an dem Kerouac die Ausschweifungen des ausgebrannten Dean Moriarty enden lässt. Eine letzte deliriöse Reise, gespickt mit selbstironischen Cameo-Auftritten von Burroughs («Opium Jones») und Ginsberg («Messiah»), führt das Prinzip einer Selbstbefreiung durch rauschhafte Bewegung ad absurdum und den Protagonisten schliesslich in eine bizarre Entzugsklinik, die das Sterben zu repräsentieren scheint.

Psychedelische Ära

Wenngleich sich die Extravaganzen der Beat-Poeten im amerikanischen Erzählkino – im Gegensatz zum Avantgardefilm16 – zunächst noch kaum niederschlugen, beeinflussten ihre literarischen Diskurse massgeblich die Gegenkultur des folgenden Jahrzehnts. Als für diesen Zusammenhang exemplarische Begebenheit kann die zweiwöchige Fahrt der Kommune um den One Flew Over the Cuckoo’s Nest-Autor Ken Kesey von der kalifornischen Westküste zur New Yorker Weltausstellung 1964 gelten, die zahlreiche Nachahmer inspirierte. Analog einer populären Auffassung weist sie der Dokumentarfilm Magic Trip (Alison Ellwood, USA 2011) als den Beginn der 60er Jahre aus, was nicht zuletzt dem sich daraus ergebenden spektakulären Narrativ mit all seinen metaphorischen Qualitäten geschuldet sein dürfte. Dass am Steuer der als Kerouac-Muse und Vorlage für die Figur des Dean Moriarty bekannt gewordene Neal Cassady sass, lässt sich als Teil eines Arrangements sehen, in dem die Grenzen zwischen Fiktion und Realität verschwimmen sollten. In Magic Trip hören wir Kesey reflektieren: «I realized I wasn’t going to be able to write a book about this, because you can’t, it’s an experience. This wasn’t literature anymore. This jumped off the pages and onto the streets». Demzufolge schoss das Experiment über sein vermeintliches Ziel hinaus, die auf Papier gebannte Erfahrung der Beatniks im wirklichen Leben zu reproduzieren. Indem mit der zur kosmischen Wunderdroge verklärten halluzinogenen Substanz LSD-25 ein neuer Faktor hinzutrat, entwickelte sie dort scheinbar plötzlich den im literarischen Werk vermissten transzendentalen Zauber, der nach noch authentischeren und unmittelbareren Ausdrucksformen als der bereits um Authentizität und Unmittelbarkeit bemühten spontaneous prose eines Jack Kerouac verlangte.

Eine sich anschliessende Suche nach diesen Ausdrucksformen, welche die zu vermittelnde Erfahrung in weite Ferne gerückt hätte, war dementsprechend nicht möglich, überraschenderweise aber auch nicht nötig.17 Denn das Reisegefährt hatte man nicht nur bereits mit einem symbolträchtigen Namen (Further), einer grellen Bemalung und dem obligatorischen Vorrat psychoaktiver Drogen ausgestattet, sondern auch anderweitig modifiziert:

Ein offener Ausguck auf dem Dach bot einer ganzen Band mit Schlagzeug und E-Gitarren Platz, und eine komplizierte Anlage ermöglichte es, über Lautsprecher Musik und Stimmen nach draussen sowie über Mikrophone auch Aussengeräusche nach innen zu übertragen.18

Durch die Verwandlung des ausgedienten Schulbusses in eine vornehmlich nach aussen gerichtete – sogar maximales Aufsehen erregende – multimediale Kommunikationszentrale wurde die Wunschvorstellung der Beatniks («dig the whole world with a car like this») von den selbsternannten Prankstern durch eine inversive Komponente vervollständigt; auf performativem Wege konfrontierte man nun die Welt mit dem neuen Lebensgefühl der Reisenden. Mithilfe mehrerer Kameras und Tonbandgeräte zeichneten sie diese Performanzen auf und versuchten vor allem, die während des Trips gesammelten Drogenerfahrungen dokumentarisch festzuhalten. Der batteriebetriebene Kühlschrank, in dem die teuren Rohfilmrollen und das in Orangensaft aufgelöste acid aufbewahrt wurden, muss über beträchtliche Ausmasse verfügt haben, denn der nach dem Zufallsprinzip des von Burroughs entwickelten Montageverfahrens achronologisch zusammengeschnittene Film kam auf eine Länge von vierzig Stunden.

Es wird deutlich, dass es sich bei der Tour um ein im Vorfeld geplantes und bewusst inszeniertes Medienereignis handelte, für das jedoch die Evokation völliger Spontaneität des Geschehens von grundlegender Bedeutung war. Wie sich einer der Teilnehmer erinnert, «[war] diese Reise im Begriff, zu irgendeiner Art Mission zu werden. Kesey sagte ihnen, er wollte, dass sie alle ihr Ding machten und Pranksters wären, aber er wollte auch, dass sie dabei tödlich kompetent wären.»19 Die Mission bestand darin, die unbeschreibliche Erfahrung, «die Barriere zwischen dem Ich und dem Nicht-Ich zusammenbrechen zu sehen»20, ganz unmittelbar vor den Augen der gesamten Nation stattfinden zu lassen und mit einem Aufruf zur Partizipation zu verbinden. Dem berauschten Fahren kam insofern eine doppelte Bedeutung zu, dass es sowohl der Entdeckung des Landes aus der psychedelischen Perspektive als auch einer Evolution im Geiste aller Menschen dienen sollte. Kesey begriff die Busreise demnach nicht als Ausflug, d.h. er verwehrte sich der von Albert Hofmann – der den ersten LSD-Trip der Geschichte wiederum ausgerechnet auf einem Fahrrad erlebt hatte – hervorgehobenen Notwendigkeit, das Vehikel des Psychonauten irgendwann wieder verlassen und ins bürgerliche Alltagsbewusstsein zurückkehren zu müssen.21 Stattdessen wollte er auf der anderen Seite ‹siedeln›.

Während sich die amerikanische Gegenkultur zu einer enormen Bewegung auswuchs, geriet der ohnehin schon brüchig gewordene Hays Code zunehmend in die Kritik und wurde schliesslich 1968 durch ein Bewertungssystem zur Altersfreigabe ersetzt. Eine Reihe bisher undenkbarer Filme gelangte in die Mainstream-Kinos; an prominenter Stelle Easy Rider (Dennis Hopper, USA 1969), für dessen Kauf Columbia Pictures mit beachtlichem kommerziellen Erfolg belohnt wurde. Als «kind of On the Road for the 1960s»22 nimmt die Erzählung das beim Durchqueren menschenleerer Landschaften aufkommende Freiheitsgefühl zum Anlass für die unbestimmte Sehnsucht nach einem Ort, der ähnlich frei von Zwang und Feindseligkeit ist und somit ein Bleiben ermöglichen könnte. Alkohol, Marihuana, LSD und nicht zuletzt das Fahrerlebnis selbst werden hier von den Protagonisten immer wieder als recht pragmatische Mittel eingesetzt, sich durch die gemeinsame Rauscherfahrung mit anderen gesellschaftlichen Aussenseitern zu verbinden und flüchtige Momente spiritueller Zusammengehörigkeit zu erzeugen.23

Einer Verhandlung fast aller hier skizzierten Drogenkonzepte widmet sich der auf Hunter S. Thompsons gleichnamigen Roman von 1971 beruhende Fear and Loathing in Las Vegas (Terry Gilliam, USA 1998). Dabei beinhaltet der Film zahlreiche intertextuelle Verweise, unter anderem sogar auf die finstersten Zeichnungen depravierter Cannabiskonsumenten im amerikanischen Exploitation-Kino. Wie Sal und Dean aus On the Road und Wyatt und Billy aus Easy Rider stehen Raoul Duke und Dr. Gonzo in der Tradition der nach dem American Dream suchenden Individualisten, verwenden jedoch in der Praxis deutlich mehr Zeit darauf, vor ihren eigenen alptraumhaften Halluzinationen und dem im Drogenwahn angerichteten Chaos zu flüchten. Der rauschenden Fahrt durch die sich ins viel zitierte Fledermausland verwandelnde Wüste («We can‘t stop here!») schliessen sich zunehmend wilder und surrealer werdende Trips an, die zwar hinter die Fassaden blicken lassen, aber – wenn überhaupt – nur bittere Erkenntnisse bereithalten. In den subjektivierten Rauschsequenzen entpuppt sich das aus psychedelischer Perspektive erforschte Las Vegas als monströse Vergnügungsmaschinerie, die sich aus der Befriedigung der primitivsten Triebe ihrer Besucher speist. Von dieser ernüchternden Erfahrung ausgehend, formuliert Duke schliesslich einen kritischen Nachruf auf das verstiegene Unternehmen der Psychonauten der 60er Jahre:

That was the fatal flaw in Tim Leary’s trip. He crashed around America, selling consciousness expansion, without ever giving a thought to the grim meat-hook realities that were lying in wait for all those people who took him seriously. […] A generation of permanent cripples, failed seekers, who never understood the essential old-mystic fallacy of the acid culture. The desperate assumption that somebody, or at least some force is tending the light at the end of the tunnel.

Der Gedankengang folgt der Logik, dass ohne das Walten einer höheren Instanz, die der Realität einen verborgenen Sinn verleihen würde, auch im Rausch keine transzendentalen Erkenntnisse über diese Realität zu gewinnen seien. Bewusstseinserweiterungen dienen demnach keinem anderen Zweck, als die Wirklichkeit als absurdes und in letzter Konsequenz bedeutungsloses Gebilde zu entlarven, was sich filmisch in den düsteren ‹Fleischhakenrealitäten› niederschlägt, die Dukes Halluzinationen vermitteln. Zwar macht das Ende des Films die folgerichtige Abkehr von den Drogen nicht explizit, jedoch sind die letzten beiden Fahrten, welche die Protagonisten jeweils aus der Stadt herausführen, in Kontrast zu allem Vorangegangenen weder von Wahnvorstellungen noch Paranoia geprägt.

Wie der filmhistorische Abriss zeigt, erschöpft sich die audiovisuelle Metapher des berauschten Fahrens nicht darin, die berauschte Figur als ausser Kontrolle geratene Kraft herauszustellen, die im vom Strassenverkehr repräsentierten gesamtgesellschaftlichen Raum verheerende Schäden anrichtet. Der gegenkulturelle Diskurs der 50er und 60er Jahre gestaltete dieses Bild um, indem er narrative Begründungshorizonte für den Drogenkonsum konstruierte und durch die Verquickung von Reise- und Rauschkonzepten24 ein neues Spektrum an Möglichkeiten metaphorischer Profitnahme schuf.

Später entstandene Filme wie Fear and Loathing in Las Vegas greifen häufig beide Diskurse im Sinne einer multiperspektivischen Reflexion des Stoffs auf, indem sie das subjektive Empfinden des Berauschten mit den objektiven Folgen seiner Handlungen für die narrative Wirklichkeit abgleichen. Das sich ergebende Kontrastverhältnis kann wiederum als argumentative Grundlage für eine Evaluation des kulturellen Gegenstands «Rausch» dienen, wie The Wolf of Wall Street (Martin Scorsese, USA 2013) unlängst zeigte. Um die Diskrepanz zwischen dem äusserlich wahrnehmbaren destruktiven Impetus eines Lebens im Rausch und dem introspektiv verengten Sichtfeld des Berauschten zu verdeutlichen, lässt Scorsese den betrügerischen Börsenmakler Jordan Belfort auf einer nächtlichen Lamborghini-Fahrt und unter dem Einfluss einer enormen Dosis Methaqualon einen New Yorker Vorort demolieren. Dass er im Delirium eine Spur der Zerstörung hinterlässt und selbst nur durch ein Wunder überlebt, wird ihm und dem Zuschauer jedoch erst im Zuge einer Offenbarungssequenz bewusst. Diese Szene lässt pars pro toto das narrative Bedingungsgefüge des Films erkennen; Jordans rauschhafte Megalomanie und die energetisierende Wirkung seines Erfolgs werden als Hirnlähmung («cerebral palsy») ausgewiesen, die seine Wahrnehmung so stark trübt, dass er den Konsequenzen seiner Handlungen gegenüber völlig erblindet. Von seinem luxuriösen Vehikel, dem Polster aus Reichtum und Macht zwischen sich und der Welt, bleibt nach wiedererlangter Nüchternheit nur mehr ein grotesk zugerichtetes Wrack übrig. Ab diesem Moment fällt der vermeintlich unzerstörbare pleasure dome des Protagonisten in sich zusammen.

Mit Kathrin Fahlenbrach und Blick auf die Filmgeschichte wäre die Inszenierung dieses Rauscherlebnisses als Amalgamierung von narrativen Strukturen zu begreifen, die durch ihre ständige Neuinterpretation modellhaft im kulturellen Gedächtnis verankert sind.25 Die mit dem tradierten Stoff verknüpften kognitiven Metaphern («Der Rausch ist eine Reise für den Berauschten» vs. «Der Rausch ist ein Unfall für die Gesellschaft») treten hier als Einheit auf. Bemerkenswert sind vor allem die raumsemantischen Implikationen, die sich aus einem solchen Arrangement ergeben. Das durch den Insassen in Bewegung versetzte und ihn in Bewegung versetzende Fahrzeug ist nämlich mehr als nur Repräsentant der Droge. Es markiert eine physische Barriere zwischen dem Ich und den Anderen, introspektivem und objektivem Filmbild, letztlich: zwischen Reise und Unfall.

Vgl. Hans Jürgen Wulff, Darstellen und Mitteilen: Elemente der Pragmasemiotik des Films. Tübingen 1999. S. 27.

Kathrin Fahlenbrach definiert audiovisuelle Metaphern als «intentional gestaltete symbolische Formen, welche vor dem Hintergrund gattungs- und genrespezifischer Wirkungsstrategien auf konzeptuelle Metaphern des Wahrnehmens, Denkens und Fühlens zurückgreifen und ihnen eine körper- und affektbasierte Gestalt geben», vgl. Kathrin Fahlenbrach, Audiovisuelle Metaphern: Zur Körper- und Affektästhetik in Film und Fernsehen, Marburg 2010, S. 93.

Vgl. Fahlenbrach (wie Anm. 2), S. 233.

Bereits im 16. Jhdt. gelangten Gelehrte zu der Auffassung, dass die nächtliche Seelenausfahrt nicht tatsächlich stattfinde, sondern es sich dabei nur um ein Trugbild im Kopf der Hexe handle, das gleichwohl vom Teufel persönlich eingegeben sei. Vgl. Robert Feustel, Grenzgänge: Kulturen des Rauschs seit der Renaissance, München 2013, S. 45.

Georg Seesslen, «Inschrift des Rausches, Passion oder Kreuzzug: Anmerkungen zu Drogen im Film», in: Film – Das Kino-Magazin 8 (2001), S. 24–33; hier S. 25.

Vgl. Jack Stevenson, Addicted: The Myth and Menace of Drugs in Film, London 2000, S. 39.

Vgl. Barron Lerner, One for the Road: Drunk Driving Since 1900, Baltimore 2011, S. 64.

Vgl. Christopher Gair, The American Counterculture, Edinburgh 2007, S. 102.

Feustel (wie Anm. 4), S. 225.

Vgl. Thomas Hecken, Gegenkultur und Avantgarde 1950-1970, Tübingen 2006, S. 59.

Jack Kerouac, On the Road, 2. Auflage, New York 1959, S. 134.

Feustel (wie Anm. 4), S. 231.

Vgl. Paul Virilio, Der negative Horizont: Bewegung/Geschwindigkeit/Beschleunigung, Wien 1989, S. 140.

Kerouac (wie Anm. 11), S. 80.

Vgl. Feustel (wie Anm. 4), S. 231.

Vgl. Gair (wie Anm. 8), S. 112–115.

Vgl. Tom Wolfe, Unter Strom: The Electric Kool-Aid Acid Test: Die legendäre Reise von Ken Kesey und den Pranksters, Frankfurt a. M. 1987, S. 119.

Alexander Kupfer, Die künstlichen Paradiese: Rausch und Realität seit der Romantik, Stuttgart 1996, S. 78f.

Wolfe (wie Anm. 17), S. 115.

Wolfe (wie Anm. 17), S. 55.

Vgl. Albert Hofmann, LSD: Mein Sorgenkind, Stuttgart 2012, S. 90.

Gair (wie Anm. 8), S. 211.

Patrick Kruse und H. J. Wulff gehen noch einen Schritt weiter und schreiben dem Drogenrausch in Easy Rider die Funktion einer Kollektivierungsform zu, mittels derer die Differenzerfahrung zwischen Jugendkultur und bürgerlicher Rahmengesellschaft markiert wird. Vgl. Patrick Kruse / Hans Jürgen Wulff, «Psychonauten im Kino: Rausch und Rauschdarstellung im Film», in: Kristina Jaspers / Wolf Unterberger (Hg.), Kino im Kopf: Psychologie und Film seit Sigmund Freud, Berlin 2006, S. 107–113; hier S. 109.

Hierzu Jacques Derrida: «Ich finde kein besseres Wort als Erfahrung; nämlich im Sinne einer Reise, die die Grenze passiert. Eine Erfahrung zwischen zwei Erfahrungen: einerseits die Überfahrt, die Odyssee […], eine Irrfahrt, von der man nicht mehr zurückkehren kann, so viele in einer bestimmten Etymologie verhüllten Möglichkeiten des Wortes ‹Erfahrung›, das man manchmal, wie auch den ‹Trip› mit der Erfahrung der ‹Droge› verbindet, die Beziehung zum Anderen und die Öffnung gegenüber der Welt im allgemeinen; und andererseits das organisierte Experiment, das Experimentelle als ‹organisierte Reise›». Vgl. Jacques Derrida, «Die Rhetorik der Droge», in: Peter Engelmann (Hg.), Jacques Derrida: Auslassungspunkte, Wien 1998, S. 241–266; hier S. 255.

Vgl. Fahlenbrach (wie Anm. 2), S. 235.

Julian Lucks
M. A., Studium der Literatur- und Medienwissenschaft, Neuesten Geschichte und Philosophie an der Christian-Albrechts-Univer­sität zu Kiel, das er Anfang 2014 mit einer Arbeit über Modalitäten filmisch inszenier­ter Drogenerfahrungen abschloss. Seither semesterweise lehrbeauftragt am medien­wis­sen­­schaft­lichen Institut in Kiel. Forschungsschwerpunkte sind Subjektivierungsformen des Erzählfilms und die Charakterisierung amoralischer Helden in zeitgenössischen Fern­sehserien.
(Stand: 2016)
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