Jonas rechnet eigentlich mit einem langweiligen Sommer. Aber dann lernt er auf einer Autobahnraststätte Fine kennen, die ihn mit ihrer offensiven Art verunsichert, aber auch schwer beeindruckt. Fine lädt Jonas spontan ein, mit ihren Freunden und ihr im Tessin eine Woche Ferien zu verbringen. Im abgelegenen Onsernonetal richten sich Jonas, Fine, ihre Schwester Babs, deren Freund David und Mara in einem alten Tessinerhaus ein. Die Gruppe lebt scheinbar ungezwungen in den Tag hinein, aber bald testet jeder die Grenzen des anderen, indem man sich gegenseitig zu Mutproben und Wahrheitsrunden anstiftet. Es dauert nicht lange, bis unbarmherzig über Innerstes gesprochen wird und Konflikte unter den Freunden aufbrechen. Insbesondere die Schwestern Babs und Fine geraten aneinander, als klar wird, dass Fine ihrer Schwester etwas verheimlicht. Als Aussenseiter beobachtet Jonas zunächst die Geschehnisse, aber bald ist auch er mittendrin, denn Fine hat es ihm angetan.
Halb so wild ist das Langfilmdebüt des Schweizer Filmemachers Jeshua Dreyfus. Mit gerade mal 30 000 Franken Budget hat der 28-Jährige eine Crew zusammengestellt, die grösstenteils aus Freunden bestand, und ist mit ihnen und den fünf Schauspielern aus Berlin ins Onsernonetal gereist, wo sie in Zelten hausten und sich mit kalter Dusche und Plumpsklos zufrieden geben mussten. Dabei stiessen mehrere der rund zwanzig Beteiligten an ihre Grenzen, sagte Dreyfus in einem Interview. Die Entstehung von Halb so wild widerspiegelt also bis zu einem gewissen Grad dessen Handlung – erklärtermassen Dreyfus’ Ziel. Herausgekommen bei diesem Experiment ist eine Art «huis clos» in der Natur. Das steile und wilde Gebiet zwischen dem Centovalli und dem Onsernonetal bietet sich für ein Kammerspiel wie Halb so wild geradezu an. Der Fokus von Dreyfus liegt auf den verschiedenen Beziehungen und auf der Frage, was eine Gruppe zusammenhält. Bis wohin darf sie gehen, ohne die Freundschaftsbanden zu sprengen? Über weite Strecken des Filmes verfolgt Dreyfus diese Frage konsequent, das Ende lässt er bewusst offen.
Neben dem wunderbaren Setting überzeugen auch die Schauspieler allesamt. Insbesondere die zentralen Frauenrollen sind mit Anna von Haebler und Karen Dahmen, die Fine beziehungsweise Mara spielen, hervorragend besetzt. Beide Frauen kommen vom Theater und geben in Halb so wild ihre Kinodebüts.
An den Solothurner Filmtagen 2013 war Halb so wild für den Publikumspreis nominiert, in Saarbrücken für den Max-Ophüls-Preis. Jeshua Dreyfus weist für einen hiesigen Filmemacher einen eher ungewöhnlichen Werdegang auf. Er studierte nicht etwa Regie, sondern Philosophie, Wirtschaft und Germanistik. Mit Halb so wild ist ihm ein beeindruckendes Langfilmdebüt gelungen.